Dierk Schaefers Blog: Die Heimkinderangelegenheit hinterläßt nur Verlierer, und dennoch …
… und dennoch muß man unterscheiden.
Es ist Zeit für eine Bilanz. Viel Neues wird sich nicht mehr ereignen[1], es sei denn, ein Kläger schafft dank eines fähigen Juristen den Durchbruch und erkämpft ein Präzedenzurteil, dessen Umsetzung dann aber wohl wieder von der staatlichen Bürokratie zermahlen werden wird, wie bei den ungezogenen Buben Max&Moritz: Ricke racke, ricke racke, geht die Mühle mit Geknacke.[2]
Nur Verlierer?
1. Da sind zunächst die Institutionen Staat und Kirche. Beide haben in dieser Sache viel Geld gespart. Doch der Gewinn ist nur scheinbar.
Die Kirchen haben sich als gottlos und heuchlerisch erwiesen[3].
Der Staat hat seine Opfer behandelt, wie er Opfer in Entschädigungsfragen zu behandeln pflegt: Bürokratisch hinhaltend und ausbremsend. So ist er, unser Rechtsstaat, er kennt fast nur Sachschäden[4].
Beide Institutionen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Gemerkt haben das fast nur die ehemaligen Heimkinder.
2. Darum gehört zu den Verlierern auch die Gesellschaft: die Öffentlichkeit und die veröffentlichte Meinung. Sie waren bald gelangweilt durch die immer gleichen Horrorgeschichten aus dem Heimalltag. Man fühlte mit den Opfern, doch wenn es um Geld ging, erwachte vielfach der Neid. Schließlich hatte doch jeder einmal eine Ohrfeige bekommen und den Müll runtertragen müssen.
Dann wurden glücklicherweise die Heimkinder aus den Nachrichten verdrängt. Sexueller Mißbrauch war das neue Thema. Das war grauslich-unterhaltsam und man hatte richtige Täter und richtige Abscheu – und man war voll und ganz auf der richtigen Seite.
Die Gesellschaft hat verloren? Ja. Denn die Opfer haben sie kennengelernt und wissen, was sie von ihren lieben Mitmenschen zu halten haben[5].
Die „Moderatorin“ des Runden Tisches ist für mich die Symbolfigur für das gottlose Vorgehen der Kirchen, für das Unrecht des Rechtsstaates und für die bigotte Gesellschaft geworden, denn sie vereinigte alle drei Rollen in sich, und das meisterhaft[6].
3. Für die ehemaligen Heimkinder als Verlierer muß ich weiter ausholen, denn da gibt es „sone und solche“ und, – darauf will ich zuerst eingehen- , auch einen generellen Unterschied bei im Leben zu kurz gekommenen Menschen.
Im Leben schmerzhaft und nachhaltig geschädigt – da kann man Unglück gehabt oder aber massives Unrecht erlitten haben. Das ist ein großer Unterschied.
Unglück als Krankheit oder als Verlust wichtiger lieber Menschen ist „Schicksal“. Mit dem kann man hadern und es nach und nach akzeptieren. An dieser Lebensaufgabe kann man auch scheitern, aber niemanden verantwortlich machen. Gerade deshalb kann man aber das Unglück hinter sich lassen und es „bewältigen“.
Wer Unrecht erleidet, hat es schwerer. Denn da gibt es Täter, zum Anklagen, zum Bekämpfen. Wer sich darin verbeißt, hat es schwer, aus der Opferrolle herauszukommen. Man hat nicht nur verloren, man bleibt Verlierer.
Zwei Kommentare zu einem kurzen Blogbeitrag vor wenigen Tagen[7] haben mir gezeigt, wie solche Opfer die Verliererrolle abstreifen können. Es ging um die Frage, ob man Geld aus dem Heimkinderfonds annimmt oder nicht.
a) Die Wiedererlangung der Würde, die den Kindern in den Heimen und den ehemaligen Heimkindern vom Runden Tisch genommen wurde.
Helmut Jacob schreibt:
Das Für und Wider des Fonds „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“
Ich spreche mich nach wie vor gegen die Inanspruchnahme des Fonds, der auf Empfehlungen des „Runden Tisches Heimerziehung“ installiert wurde, aus. Dies begründe ich wie folgt:
1. Dieser Fonds stellt eine weitere Demütigung der Heimopfer dar. Die ausgezahlten Beträge werden zwar als Entschädigung deklariert, sind jedoch eine billige Abspeisung irgendwelcher Ansprüche. Mir kommen sie vor, als würde der PKW-Seitenspiegel ersetzt und nicht das gesamte Auto, das zu Schrott gefahren wurde.
2. Die Einrichter dieses Fonds haben mit Sicherheit einkalkuliert, daß selbst kleinste Zahlungen Abnehmer finden, so daß sie von Erfolgen sprechen können. Es ist zu beobachten, daß selbst kleinste Anmeldezahlen bei den Anlaufstellen von unter und um ein Prozent der geschätzten 800.000 bis 1 Mio. Opfer als großer Erfolg für die Akzeptanz dieses Fonds propagiert werden. Woher dieses Kalkül? Die Folgen der Heimerziehung sind a) Armut aufgrund mangelnder Ausbildung und mangelnder Integration in die Arbeitswelt. Man kann mit Fug und Recht unterstellen, daß die meisten ehemaligen Heimopfer Löhne oder Sozialhilfeleistungen erhielten, die zum Sterben zu viel, zum würdevollen Leben zu wenig ausmachten. Nachdem das Problem der Verzichtserklärung vom Tisch war und die einzelnen Internetpräsenzen der Opfer selbst Licht in das Thema „Heimkinderfonds“ brachten, stieg die Zahl der Inanspruchnehmer an und wird weiter steigen. Finanzielle Not, finanzielle Engpässe und andere Beweggründe reizen dazu, zusätzliche Einnahmen jedweder Art zu akquirieren.
3. B) In den Heimen wurde ein permanentes Mangelerleben erzeugt. Es mangelte an Essen, gutes Essen gab es nicht oder nur ausnahmsweise. Es mangelte an Geld in den Taschen der Heimbewohner. Es mangelte an Rauchwaren (Das nutzen manche Heimleiter aus, um ihre jungen Männer in der Erziehungshilfe zu mehr Leistung anzutreiben.) Mängel wohin das Auge blickte. Gab es mal gutes Essen, wurde wie selbstverständlich gelegentlich gefressen und auch überfressen. Ich beobachtete einmal, wie in meiner Ausbildungszeit ein taubstummer junger Mann (Größe eines Kleiderschrankes) einem anderen taubstummen Jungen seine Gabel voll in die Hand rammte, weil der schneller am Fleischtopf war. Diese Fälle gab es sicher selten, aber ganz gewiß eine Einsackermentalität, oder auch „Bunkermentalität“ genannt. Sie entstand aus der Angst: Schon morgen kann das Leben wieder schlechter sein. Diese Mentalität darf darum nicht negativ beurteilt werden. Sie ist auch heute beispielsweise in Entwicklungsländern zu beobachten. Rollt der LKW mit Hirse endlich an, findet davor ein Hauen und Stechen statt.
Die kursierenden Meldungen über große Summen zwischen 10.000 und 30.000 € sprechen sich wie ein Feuer unter den Opfern herum und so spekuliert jeder Antragssteller auf diesen „kleinen Lottogewinn“ oder „großen Schluck aus der Pulle“. Was zunächst durchaus verständlich ist.
3. Es wurde mit Sicherheit schon am „Runden Tisch Heimerziehung“ von den meisten Tätervertretern erkannt, daß es an Einigkeit unter den Heimopfern fehlt. Wie sollte es auch anders sein? In den Heimen herrschte der Ellenbogen vor; jeder war sich selbst der Nächste. Und gelegentlich war nicht der Leiter der wahre Feind, sondern der Stubenkamerad. Gründe für dieses Verhalten gibt es zuhauf. Sie aufzulisten, würde den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen. Zwar war und ist bekannt, daß eine Gruppe von ehemaligen Heimopfern, auch ein Theologe und ein Professor für Sozialpädagogik, sich für eine würdige Entschädigung aussprechen, aber die Tätervertreter wußten, daß ihr kleines Lockmittel, die Brocken in der Hundeschüssel, reichen, um den Hungrigen still zu bekommen.
4. Mit der Annahme von Mitteln aus dem Fonds verlieren die Opfer m. E. ein weiteres Mal ihre Würde. In den Heimen wurde ihnen das Ehrgefühl, das Selbstwertgefühl und ein Gefühl für Menschenwürde hinausgeprügelt. In der Ablehnung dieser Almosen aus den Opferfonds könnten die Opfer jetzt demonstrieren: Ihr habt uns nicht ganz kaputt gekriegt. Wir haben unser Selbstwertgefühl wiedergefunden und wollen nun einen würdevollen Lebensabend verbringen. Was wäre passiert, wenn alle Opfer an einem Strang gezogen hätten? Um einen Skandal zu vermeiden, hätten die Tätervertreter (so kann man sie bezeichnen, sie wurden selbst zu Tätern) nachbessern und die Geldgeber in die Pflicht nehmen müssen dahingehend, wenigstens annähernd den Forderungen nach einer Opferrente oder einer Barleistung von über 50.000€ nachgeben, sonst wäre der „Runde Tisch Heimerziehung“ in der Öffentlichkeit als Farce demaskiert. Man nimmt also bewußt in Kauf, daß die Opfer ein weiteres mal zu Opfern werden, damit das Konzept der Billiglösung aufgeht.
Die Rückeroberung der Würde beobachtete ich selbst. Vor 8 Jahren sah ich eine Schulkameradin wieder, die in ihrer Kindheit im Johanna-Helenen-Heim permanent mißhandelt wurde. Auch ihr wurden Ehre und Würde weggeprügelt. Alles, was mit dem unteren Körperbereich zusammenhing, war Sünde, Schweinerei und führte zwangsläufig in die Prostitution und in die Gosse. Die Liebe gehörte auch dazu. So lehrten es sie die Ordensschwestern Martha und Elisa. Täglich wurde sie gedemütigt, vorgeführt, abgestraft, links liegen gelassen. Die behinderte Lehrerin Gertraude Steiniger verübte täglich selbst Verbrechen an ihr. Sie stand 24 Stunden unter Dauerstress und Dauerbedrohung. Danach war sie ein kaputter Mensch. Das Johanna-Helenen-Heim hat ihr gesamtes nachfolgende Leben völlig negativ beeinflußt. Als ich sie wiedersah, saß vor mir ein Haufen Elend. Angst vor den Behörden, Angst vor Ärzten und Angst vor Mitmenschen, die scheinbar klüger waren als sie. Einen Freundeskreis hatte sie, aber auch hier wurde sie oft überfordert. Ihre wirkliche Freundin war auch behindert. Elternlos fand sie in späten Jahren Mutterersatz in der Schweiz.
Sie arbeitete in einer Opfergruppe mit und machte erstaunliche Erfahrungen: Behördenmenschen sind auch nur Menschen mit Fehlern, Ecken und Kanten. Ärzte sind keine Götter, sondern Angestellte der Kunden, genannt Patienten. Mitmenschen haben selbst ihre Fehler und Schwächen und jeder Mensch ist individuell. Als ich ihr einen Brief an den Bürgermeister einer Stadt formulierte, weil sie seitens eines Amtes über den Tisch gezogen wurde, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. So wenig Unterwürfigkeit, so viel Direktheit hat sie in den Jahrzehnten davor nicht gelebt und erlebt. Aber sie sah: Ab Posteingang wurde sie als solche akzeptiert, die sie tatsächlich war: Arbeitgeberin dieser Bürokraten. Sie hat verstanden: Ohne Bürger keine Verwaltung.
Vor etwa 4 Jahren wurde sie schwer krank. Dazwischen lagen viele aufregenden, lehrreiche, erlebnisreiche Jahre voller Ausflüge, Lebenshilfe, aber auch indirekter Lehrstunden. Und es war von Monat zu Monat zu beobachten, wie ihr Selbstbewußtsein, ihr Stolz zurückkamen. Die Körperhaltung wurde eine viel aufrechtere.
Eine Psychologin wurde auf ihre Geschichte aufmerksam und eine weitere Freundin für sie. Oft riefen sie sich an und Marianne berichtete immer wieder von schönen Gesprächen. Die letzten Tage verbrachte sie unter Schmerzen und Qualen im Krankenhaus. Sie wußte: Der Tod schleicht schon ums Haus. Jene Psychologin erfuhr davon und bot an, aus dem Opferfonds Mittel für sie loszueisen, damit ihre letzten Wochen erträglicher würden. So saß ich an ihrem Krankenbett, das eigentlich schon das Sterbebett war, und fragte sie, ob sie dieses nette Angebot nicht annehmen wolle. Nein, betonte sie, aus diesem Fonds nicht. Ich versuchte es anders: Daß sie sich vielleicht mit diesem Geld bei jenen Leuten bedanken könne, die ihr besonders nahe stehen. Ich verwies auf ihre Assistentin, eine junge Studentin, die über ihr Stundenkontingent hinaus permanent an ihrem Bett saß. „Nein, ich will aus diesem Fonds kein Geld!“, sagte sie mit einer solchen Bestimmtheit, daß ich zusammenschreckte. Erst Wochen später, die Beerdigung war längst vorbei, kam mir zu Bewußtsein: Die letzten Jahre waren Schuljahre. Sie hatte ihre Würde wirklich wiedergefunden.
Mit einer solchen Haltung ist man nicht mehr Opfer, sondern hat über die Täter gesiegt, auch wenn man materiell verloren hat. Der aufrechte Gang ist mehr Wert als demütigende Almosen, doch den muß man sich – irgendwie – leisten können.
b) Nüchterner Realismus
Auch der zweite Kommentar bezeugt aufrechten Gang. Es ging um die ironisch gestellte Frage, ob es auch Glückliche unter den ehemaligen Heimkindern gibt.
Erich Kronschnabel[8] beantwortet sie in bekannter Manier.
Die Frage ist so einfach zu beantworten wie sie … gestellt wurde ….
Die paar „Glücklichen” begriffen sofort, dass dieser Staat niemals zur Zahlung wirklicher ENTSCHÄDIGUNGEN bereit sein wird (was sich bewahrheitete). Die paar Glücklichen – ich nenne sie nicht so – begriffen auch sofort, dass sie sich Beiträge an Vereine und Prozesse gegen Täternachfolgeorganisationen sparen können (was sich auch als richtig erwies).
Die paar „Glücklichen” wurden wegen der Antragstellungen als doofe Almosenjäger verunglimpft, ich weiss, dass auch „Ihr” Verein von der Beantragung abgeraten hat (ich weiss aber auch, dass es Vereinsmitglieder gab und gibt, die Wasser predigten und Wein soffen – und ganz fix und leise zur Anlaufstelle gingen und heute etwas mehr Geld wie vor der Antragserledigung haben. Aber wie nennt man DIESE Pharisäer im Volksmund?).
Sehen Se, … , so einfach geht gesunder Menschenverstand. Und so einfach wurden „Almosenjäger” zu „Glücklichen”, wie Sie sie nennen. Ich nenne die einfach Realisten, die aus den Erfahrungen mit Staat und Kirchen lernten. Gegessen wird, wenn der Tisch gedeckt ist….Oder gab es in Heimen gleitende Essenszeiten? „Wünsch Dir was!” lief im ZDF nur von 1969 – 1972, …….da hatten wir das Kinder-KZ schon hinter uns und kannten die Realität!
Realisten, die aus den Erfahrungen mit Staat und Kirchen lernten. Diese Haltung ist an realitätsgerechtem Zynismus nicht zu überbieten – man geht auf Augenhöhe mit dem verachteten Gegner und gewinnt an Größe. Daß man dabei auch Schaden an seiner Seele nehmen könnte, ist irrelevant, wenn man Seele für eine religiöse Erfindung hält.
Und die anderen, die sich nicht eindeutig positionieren können/wollen? Sie lecken ihre Wunden – oder?
Waren das alle? Wie steht es mit mir?
Als ich diesen Blog begann, ahnte ich nicht, daß die ehemaligen Heimkinder zu einem Hauptthema werden würden. Ich hatte die ersten ehemaligen Heimkinder auf meinen Kriegskindertagungen kennengelernt, hatte das Unrecht erkannt, das man ihnen zugefügt hatte und hatte Kontakte bekommen, die ich mit Erreichen des Ruhestandes nicht einfach abbrechen konnte/wollte. Das gehört zu meinem Berufsverständnis als Pfarrer. „Warum machst du denn das?“ wurde ich zuweilen gefragt und ich hatte den Eindruck, daß manche mich für eine Art Don Quichotte hielten/halten.
Ich habe sehr früh die Probleme gesehen und sachorientierte Lösungsvorschläge gemacht[9] – ohne Erfolg.
Habe ich verloren? In der Sache, ja. Doch den aufrechten Gang habe ich beibehalten. Ich habe ihn – man mag darüber lachen – bei der Polizei gelernt. Als Polizeipfarrer (immerhin 15 Jahre) brauchte ich mich keiner Gemeinde und keinem Kirchengemeinderat anzupassen – und meine Kirchenleitung habe ich erst recht spät schätzen gelernt. Ob und inwieweit sie mich schätzt, kann ich nur raten. Immerhin hat sie mich nie bedrängt, meine Meinung zu verstecken, jedenfalls nicht in den Heimkinderangelegenheiten. Das rechne ich ihr hoch an.
Dummerweise sind die Kirchen – und auch meine Kollegen – in den Heimkindersachen so schwerhörig wie hartleibig[10]. Soweit sie überhaupt von meinem Blog Kenntnis nehmen, will ich aber meinen Traum[11] in Erinnerung rufen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man.
[1] Darum ist diese Bilanz auch als eine Art Abgesang zu lesen, ein Abgesang auf den gescheiterten Versuch, Staat und Kirche zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit historischer Schuld und einem fairen Umgang mit ihren Opfern zu bewegen.
[2] http://de.wikisource.org/wiki/Max_und_Moritz/Letzter_Streich
[3] Für die Leser meines Blogs muß das nicht mehr belegt werden. Wer es nicht oft genug hören/lesen kann oder wer die Hintergründe nicht kennt, schreibe mir ein Mail und ich werde zwar gequält, aber dennoch gern darauf antworten.
[4] Auch dies ist den Lesern meines Blogs nicht neu.
[5] Die Hölle das sind die Anderen http://de.wikipedia.org/wiki/Geschlossene_Gesellschaft
[6] http://dierkschaefer.wordpress.com/2011/01/31/der-runde-tisch-heimkinder-und-der-erfolg-der-politikerin-dr-antje-vollmer/
[7] http://dierkschaefer.wordpress.com/2014/08/23/gut-ding-will-weile-haben/ Hier kann, wer will, auch die anderen Kommentare nachlesen.
[8] http://dierkschaefer.wordpress.com/2014/05/27/rotzfrech/
[9] http://dierkschaefer.wordpress.com/2009/04/05/anhorung-runder-tisch-2-april-2009/ mit weiterführenden Links
[10] http://dierkschaefer.files.wordpress.com/2010/05/essay-pfarrerblatt.pdf Mein Beitrag im Pfarrerblatt fand keine Resonanz.
[11] http://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/01/traumhaft/
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6 comments
« Für jeden etwas. Wirklich für jeden?
6 Antworten
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1. ekronschnabel said, on 26. August 2014 at 10:39
Mit diesem Resümee sagt Dierk Schäfer genau das, was ich aus dem in der Sache Erlebten mitnehme.
Insofern können Sie, Herr Jacob, das auch als meine eigentliche Antwort auf Ihren Contra-Standpunkt hinsichtlich der Nutzung des Heimkinder-Fonds betrachten. Ihre Argumente kann ich teilweise sehr gut
nachvollziehen, auch ich hatte Momente, in denen ich so dachte und empfand wie Sie und andere Fonds-Ablehner.
Dem gegenüber standen dann aber die Realitäten in Form von den Mitmenschen, die am Existenzminimum
lebten, die Hungerrenten beziehen – und für die 7 (SIEBEN!!!) Jahre Rentenersatzleistung = 25.200,00 €
eine kaum vorstellbare Summe sind. Hinzu kamen 10.000,00 € Sachmittelleistung, macht also 35.200,00 €.
Wenn er / sie auch noch Sexualopfer im Bereich der Landeskirche Hannover war und z.B. 20.000,00 € “in
Anerkennung des Ihnen zugefügten Leides” bekam, dann steht da ein Betrag, der nichts mehr mit Almosen
zu tun hat.
Schnöder Mammon? Mal eben “in die Tonne” zu treten, um seinen Stolz, seine Ehre zu pflegen?
Sagen Sie mal einem am Hungertuch nagenden Menschen, dass er kein Brot von seinen Lebenszerstörern
annehmen darf, wenn er seine “Ehre” behalten wolle. Der antwortet dann mit dem Hinweis, dass er bei
Aldi mit Ehre bezahlen wollte und ausgelacht wurde.
Zu realistisch? Ist idealistisch menschenwürdiger, EHRENVOLLER? “Er starb würdevoll am Rande der
Gesellschaft, aber er nahm keine Almosen von den Täternachfolgern”. Bravo, stirbt sich’s arm und ehrenvoll besser als nach einigen menschenwürdig gelebten Jahren?
Abschließend: DIE “ALMOSENEMPFÄNGER” bekamen nur einen Bruchteil des Geldes, das man aus
deren Kinderarbeit gewonnen hatte! Ist es ehrlos, rechtmäßig erworbenes aber von Betrügern entwendetes
Eigentum nach Jahrzehnten wenigstens teilweise in Besitz zu nehmen?
Man kann auch mit Heinrich Böll’s “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” liebäugeln……..aber das wäre
eine fatale Lösung.
Antwort
2. Erika Tkocz said, on 26. August 2014 at 12:19
Ich sehe es nicht anders als Herr Kronschnabel und letztlich entscheiden die Ehemaligen selber ob sie den Fonds in Anspruch nehmen wollen oder nicht und was die Inanspruchnahme für sie bedeutet ist sehr individuell. Ich habe einige Ehemalige unterstützt die vorher gar nicht einmal wussten was in den letzten Jahren zu der Heimthematik passiert ist und sie waren positiv überrascht.
Hier nur einmal ein Beispiel von Möglichkeit die einem Ehemaligen durch den Fonds eröffnet wurde:
Ausschnitt aus einem Originalschreiben:
“…und ab 01.10 14 haben wir eine wohnung in dem ………… und ob es gottes verfügung ist wir haben eine freigabe der 10 000 Euro bekommen heute entlich können meine Frau und ich mal ganz neu anfangen”
Seine Würde wird er nun bekommen, denn er hat es seit drei Jahren nicht geschafft, sich eine Wohnung zu besorgen, weil er ein Suchtproblem hat. Den Fonds hat er als Chance gesehen einen anderen Weg zu gehen und tatsächlich ist er seit einem Jahr clean. Er sagte zu mir, dass er noch nie im Leben Hilfe bekommen habe und dieses auch als eine Verpflichtung ansehe seinem Leben eine Wende zu geben.
Man kann viel darüber diskutieren was alles so mit der Heimthematik und am Runden Tisch gelaufen ist und dass das Beschiss war etc. Ob Richtig oder Falsch steht da nicht zur Debatte für Jene die dringend auf das Geld angewiesen sind und sich nicht den Luxus leisten können es abzulehnen.
Über einen Satz aus Ihrem Text Herr Schäfer sollte Jene einmal nachdenken, die sich im Dauerkampf befinden:
“Wer Unrecht erleidet, hat es schwerer. Denn da gibt es Täter, zum Anklagen, zum Bekämpfen. Wer sich darin verbeißt, hat es schwer, aus der Opferrolle herauszukommen. Man hat nicht nur verloren, man bleibt Verlierer.”
Antwort
3. Heidi Dettinger said, on 26. August 2014 at 13:25
Ist es Zeit, zu resümieren? Na dann:
Jeder, der oder die weiterkämpft, hat verloren, bleibt Verlierer/in?
Wenn das DAS Fazit einer Auseinandersetzung oder meinetwegen eines Kampfes wäre, gäbe es keine gesellschaftlichen Erneuerungen, keine neuen Erkenntnisse, wahrscheinlich nicht einmal das Wahlrecht für Frauen…
Wenn es keine Menschen mehr gibt, die – trotz aller Widerstände, allen Ungemachs – hartnäckig weiter “am Ball” bleiben, dann haben wir wahrhaftig alle verloren!
Auf die Auseinandersetzung der Überlebenden deutscher Kinderheime konkret bezogen, kann ich nur sagen, dass ich jede einzelne Position verstehen und nachvollziehen kann – auch wenn ich sie nicht unbedingte teile. Und auch nicht teilen muss.
Da gibt es die, deren Schrecken sie verzehrt, die sich ihr Leben lang bemühen, damit irgendwie zu leben, es dabei nicht wirklich schaffen, aus dem Schrecken herauszukommen. Sie haben vielleicht verloren. Aber nicht, weil sie sich in ihre Klagen verbeißen, sondern weil sie diesen Schrecken durchleben mussten. Und weil sie so gut wie niemanden an ihrer Seite hatten, der mit (und vielleicht streckenweise für sie) gekämpft hat.
Da gibt es die, die um sich schlagen, in alle Richtungen. Mal berechtigt, mal nicht. Die vielleicht nie gelernt haben, ihre Angriffe richtig und eindeutig zu führen.
Da gibt es die, die sich und ihre Geschichte hinter sich zu lassen bemüht sind. Die nach kurzem Aufbegehren Gelder akzeptieren, von denen sie wissen, dass es eigentlich Almosen sind, sich dennoch damit zufrieden geben und weiterhin versuchen, sich ihr Leben irgendwie lebbar zu machen.
Dann die, die so laut sind und so schrill, dass es ihnen tatsächlich gelingt, Summen zu erstreiten, von denen andere nur träumen. Auf individuellem Wege.
Und natürlich die, die sich standhaft weigern, sich zu beugen, aus diesem immoralischen Fonds Gelder anzunehmen. Die den aufrechten Gang für wichtiger halten, als ein neues Bett.
Dazu kommen zahlreiche weitere Facetten und Zwischentöne.
Ich wünschte mir, dass alle diese Menschen genauso und in genau ihrem Tun zumindest akzeptiert werden würden.
Ich jedenfalls werde mit (und gelegentlich auch für) diejenigen weiter streiten, die dies wollen – egal wo sie stehen!
Und ja: ich bin alt, verbissen, wütend, betroffen und manchmal müde, mutlos und erschöpft.
Aufgeben? Mich einrichten? Ich denke gar nicht daran. Opfer? Nein, ich sehe mich nicht als Opfer sondern als Überlebende, die alles Recht der Welt hat, zu kämpfen. Mit fast allen Mitteln! Werde ich/werden wir etwas erreichen? Selbstverständlich werden wir!
Nach meinem Verständnis ist jeder und jede Einzelne, der oder die einen Schritt voran kommt, Mut schöpft, es lernt, sich mit Autoritäten auseinanderzusetzen, mit sich selbst vielleicht sogar, ein kleiner Sieg! Menschen die lernen, sich aus ihrem Glashaus zu befreien, indem sie den ersten Stein werfen.
Der “große” Sieg? Der wird zu definieren sein, irgendwann einmal. In der Zwischenzeit aber profitiere ich und mit mir zahllose andere. Täglich. Durch das Wissen, nicht alleine dazustehen und den “Geiern” keinen Zentimeter freiwillig überlassen zu haben!
Antwort
o ekronschnabel said, on 26. August 2014 at 14:20
“Nach meinem Verständnis ist jeder und jede Einzelne, der oder die einen Schritt voran kommt, Mut schöpft, es lernt, sich mit Autoritäten auseinanderzusetzen, mit sich selbst vielleicht sogar, ein kleiner Sieg! Menschen die lernen, sich aus ihrem Glashaus zu befreien, indem sie den ersten Stein werfen.”
Sie bringen das Ding mit den Autoritäten, Frau Dettinger. Genau das ist das Problem zahlreicher Ex-Heimkinder: die sehen selbst noch die Täternachfolger als Autoritäten an und ducken sich weg.
Für mich gab es im Kreis der Täternachfolger noch nie eine Autoritätsperson – und dementsprechend ging ich diese Leute an. Es interessierte mich einen Dreck, wie die meine Art aufnehmen, denn die interessierte es damals auch einen Dreck, was mit den Kindern gemacht wurde. Wer den Umgang mit “Autoritäten” erst im Alter lernen will, hat schon wieder verloren, bleibt fremdbestimmt. Und leider nutz(t)en das Organisationen und Institutionen schamlos aus und praktizierten Fremdbestimmung, bis hin zu der Ansage “Wer Charakter hat, stellt keinen Antrag!”.
Komisch kommt es für mich aber ‘rüber, dass jetzt, zum Ende des Beantragungszeitraumes, plötzlich so viele
Leute von der Charakterfestigkeit und dem Motto “Keinen Antrag stellen, du hast doch Ehre” abweichen. Wer
mir die Gründe dafür plausibel erklären kann, bekommt von mir ‘ne Packung Realität geschenkt….
Antwort
4. Uwe Werner said, on 26. August 2014 at 13:58
Eine ungefälschte Bilanz, vom evang. Theologen Dierk Schaefer:
Tragen aber auch die Vereine und Beiräte ehemaliger Heimkinder, nicht eine Mitschuld, an dieser verheerenden nüchternen Bilanz.?
Angefangen seinerzeit 2010 am Runden-Tisch-Berlin, bis hin zu Vereinsquärelen-u.Misswirtschaft, als auch durch immense Kompetenzstreitigkeiten und Vereinsmeiereien?!
Wir ehemaligen HK müssen jetzt und sofort eine rückhaltslose Eigenanalyse vornehmen und notfalls die Vorstände durch frische kompetente (Mit)Streiter besetzen.
Noch ist es nicht zu spät (!) und eine Selbstreinigung, muss im Interesse aller ehemaligen Heimkinder liegen. Zumal unendlich viele HK, durch ihre eigenen Interessensvereine, sich masslos enttäuscht sehen.
Das Boot ist voll, voll mit HK und ihren Sorgen und Anliegen. Nun benötigen wir kompetente Bootsführer (Anwälte, Presse,Funk,TV, Wissenschaftler, Gutachter, Lobbyisten, Sponsoren… und eine realistisch arbeitende und denkende Bootsmannschaft (HKer).
D.h. wenn 999 Menschen sagen, dass hat keinen Sinn, dann ist der
1000ste der sagt, es macht wohl Sinn, genau der richtige Mann, oder die richtige Frau für uns!!!
http://dierkschaefer.wordpress.com/2014/08/26/die-heimkinderangelegenheit-hinterlast-nur-verlierer-und-dennoch/
Antwort
5. Uwe Werner said, on 26. August 2014 at 14:08
Die realistische Einschätzung von Herrn Kronschnabel teile ich uneingeschrängt!!! Denn sie ist die knallharte Realität, in der sich tausende HK befinden. Das lese ich auch aus dem Beitrag von Erika Tkocz heraus.
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