Overblog
Folge diesem Blog Administration + Create my blog
24. Juni 2010 4 24 /06 /Juni /2010 14:36

23. Juni 2010 „Es tut mir unendlich leid“
EKD-Ratsvorsitzender Schneider trifft ehemalige Heimkinder

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, hat sich am heutigen Mittwoch, 23. Juni, mit ehemaligen Heimkindern zu einem Gespräch getroffen. Die beiden Frauen und der Mann, die zu dem Treffen ins Kirchenamt der EKD nach Hannover gekommen waren, lebten in den 50er und 60er Jahren in verschiedenen Erziehungseinrichtungen der Diakonie. Sie berichteten in dem seelsorgerlichen Gespräch von ihren Erfahrungen in den Heimen und ihrem Bemühen um Verarbeitung.
„Mir war diese persönliche Begegnung sehr wichtig“, sagte Schneider nach dem rund zweistündigen Gespräch. „Dass Kinder und Jugendliche auch in Einrichtungen der Diakonie Leid und Unrecht erlitten haben, tut mir unendlich leid. Wir müssen und – das ist mir wichtig – wir wollen uns der Aufarbeitung dieser Erfahrungen stellen.“ Schneider verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass in Diakonie und Landeskirchen bereits entsprechende Initiativen begonnen wurden, wie zum Beispiel die Einrichtung von Telefonberatungsstellen für Betroffene, Unterstützung beim Wunsch nach Akteneinsicht, die Benennung von Ombudsleuten oder die Vermittlung von Gesprächs- und Therapieangeboten.
http://ekd.de/presse/pm130_2010_rv_heimkinder.html

 

Kommentar:

Die Presseerklärung beinhaltet verdächtige Elemente. Da ist zum einen von einem seelsorgerischen Gespräch zu lesen. Das suggeriert, dass sich die Opfer ihre Wunden theologisch einsalben lassen wollten, um Linderung zu erfahren. Zum zweiten spricht Schneider von erfahrenem Leid und Unrecht. Wenn die Opfer mal nur Leid und Unrecht in diakonischen Einrichtungen erfahren hätten, wäre dies nicht gar so schlimm. Das passierte auch in  Familien und das passiert auch heute noch in diakonischen Einrichtungen. Worunter die Opfer leiden, sind Gewalt und Verbrechen, die den Bogen zwischen brutalsten Zusammenschlägen bis zu widerlichsten Vergewaltigungen umspannen. Dazwischen liegen noch Zwangsfütterungen ähnlich polnischer Weihnachtsgänse und Zwangsarbeit. Nichts, aber auch gar nichts, wurde ausgelassen, um die "Heimzöglinge", wie es damals hieß, zu quälen. Dabei wurden selbst behinderte Kleinkinder und Schulkinder, also die Hilflosesten der Gesellschaft, gequält. Zum Hilfsangebot von Nikolaus Schneider: Darauf kann man verzichten; es kostet die Kirche nichts, es ist wieder nur Abschiebung möglicher Kosten auf die Gesellschaft. Echte finanzielle Unterstützung der Wracks, die die evangelische Kirche hinterlassen hat, wird auch seinerseits nicht zugesagt. Insofern ist dieses seelsorgerische Gespräch nur eins: Valium für das erzürnte Volk.
Helmut Jacob

Diesen Post teilen
Repost0
21. Juni 2010 1 21 /06 /Juni /2010 16:26

»Längst gehören seine mit irritierender Akkuratesse gemalten Bilder zum Fundus der Populär- wie der Hochkultur. Und dennoch sind sie auch heute noch gleich in mehrfacher Hinsicht ein Skandal, ein Aufreger und ein Tabubruch: Seit den frühen 1970er Jahren thematisiert der Künstler Gottfried Helnwein in seinem Bildern immer wieder geschändete, missbrauchte und verletzte Kinder und macht damit schon früh aufmerksam auf ein Tabuthema, das man damals schlichtweg nicht wahrnahm – oder es nicht wahrhaben wollte.«

(Joachim Kurz)

Nun kommt ein Dokumentarfilm über Helnwein in (hoffentlich viele) Kinos.

Originaltitel: Die Stille der Unschuld, Kinostart: 17.06.2010.

Ich kommentierte den Trailer (http://www.kino-zeit.de/filme/trailer/der-kunstler-gottfried-helnwein) mit den Worten: » Seit langem beschäftige ich mich mit dem Schicksal von ehemaligen Heimkindern. Viel früher bereits stieß ich auf die Bilder von Gottfried Helnwein mit den verstörend gemalten gequälten Kindern, verstörend, weil so irreal wirkend. Der Künstler schafft mit seinen albtraumartigen Bildern die Verbindung mit der albtraumhaften Realität: Einerseits mit den auch mir bekannten Bildern von zu Tode gequälten Kindern aus der Gerichtsmedizin, andererseits die Verbindung mit den mir vorliegenden Berichten gequälter ehemaliger Heimkinder. Der Film wird wohl leider nicht in unsere finstere Provinz kommen. Hier läuft (fast) nur Mainstream. Wann gibt’s den Film auf DVD?«

Wer interessiert ist, lese den Kommentar »Annäherung an einen „schwierigen“ Künstler« von Joachim Kurz:

http://www.kino-zeit.de/filme/der-kunstler-gottfried-helnwein#comment

photo: dierkschaefer

Mehr zum Thema Kindesmißhandlung:

gewalt-07-2

Diesen Post teilen
Repost0
20. Juni 2010 7 20 /06 /Juni /2010 14:26

An den Ausschuß

für Generationen, Familie und Integration

Landtag Nordrhein-Westfalen
Referat I.1/A 04
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf

Fax: 0211 / 884 - 3002

 

78. öffentliche Sitzung am 18.03.2010

„Zwischenbericht des Runden Tisches ´Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren´ - Sachstand und Schlußfolgerungen der Landesregierung Vorlage 14/3266“

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die Landesregierung erstattete laut Ihrem Protokoll Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich (MGFFI) Bericht. Dieser Bericht ist zu kritisieren, weil er von Falschdarstellungen durchzogen ist. Noch schlimmer ist allerdings, daß Gierden-Jülich sich offensichtlich mit der Thematik nicht vertraut gemacht hat. Sonst hätte sie nicht kritiklos nachgeschrieben (man möchte „nachplappern“ schreiben), was Frau Vollmer in ihrem Zwischenbericht geschrieben hat.

Gierden-Jülich betont zu Beginn ihres Vortrags „daß ein Endergebnis und damit Lösungsperspektiven zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht angeboten werden können.“ Es ist nicht nachzuvollziehen,  warum nicht schon erste Lösungsperspektiven gesucht und umgesetzt werden, die den dringendsten Bedarf der Opferhilfen abdecken. Der Theologe und Psychologe Dierk Schäfer hat bereits vor über einem Jahr dem Runden Tisch Vollmer dazu Vorschläge unterbreitet, die Frau Gierden-Jülich bekannt sein müßten, wenn sie sich mit der Thematik befaßt hätte. Ich verweise auf seinen Vortrag „Verfahrensvorschläge zum Umgang mit den derzeit diskutierten Vorkommnissen in den Kinderheimen in der Nachkriegszeit in Deutschland“, den er am 2. April 2009 dem Runden Tisch Heimerziehung zu Gehör gebracht hat. Daß in dem Bericht der Frau Gierden-Jülich darüber keine Zeile steht, bestätigt einmal mehr die Erkenntnisse der Heimopfer, daß es auch dem Land NRW darum geht, das gesamte Problem auszusitzen. Je länger man die Thematik behandelt, desto mehr Opfer sterben. Dies ist der eigentliche Skandal der Aufarbeitung der Verbrechen an Heimkindern und Jugendlichen überhaupt.

Wenn Frau Gierden-Jülich schreibt, „die Beratungen dieses Runden Tisches erweisen sich als ausgesprochen komplex“, dann ist dies natürlich nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit besteht schlichtweg darin, daß die meisten bisherigen Sitzungen komplette Zeitverschwendung waren. Die historische Aufarbeitung dieses Zeitraums ist schon längst passiert, in unzähligen Büchern und Fachaufsätzen publiziert. Diesbezüglich hat sich der renommierte Soziologe Prof. Dr. Manfred Kappeler hervorgetan. In seinem Vortrag „Überlegungen zum Umgang mit der Vergangenheitsschuld in der Kinder- und Jugendhilfe“ hat er – neben zahreichen Veröffentlichungen in den letzten Jahrzehnten zu den Mißständen in Heimen - sogar aufgezeigt, wie man mit dieser Schuld an den Heimopfern umgehen kann. Auch davon ist im Vortrag Gierden-Jülichs nichts zu finden.

In der Tat hat „der Runde Tisch selbst (...) für sich noch keine Lösungsstrategie entwickelt.“ Dafür hat die Tischvorsitzende Antje Vollmer sich allerdings persönlich schon weit aus dem Fenster gelehnt und herausposaunt, daß sie sich Wiedergutmachungszahlungen über den Durchschnittsbetrag von Zahlungen an NS-Zwangsarbeiter nicht vorstellen könne. Damit hat sie nicht nur ihre Unabhängigkeit (Neutralität) an den Nagel gehängt, sondern zusätzlich bewußt noch einige Fakten unterschlagen. Stellt sich Frau Vollmer nämlich vor, daß diese Wiedergutmachungsbeiträge zwischen 2000 und 3000€ liegen, hat sie allerdings dabei unterschlagen, daß der damalige Rechtsanwalt Witti für einen großen Teil seiner Mandanten fünfstellige Entschädigungsbeträge und Opferrenten ausgehandelt hat. Witti an Vollmer: „Meine Mandantschaft erhielt im Zuge des Gesamtkomplexes: DM 15000.- plus nun EURO 10000.- bis 30000.- plus monatliche Rente von 200.- bis 400.- EUR.“ Mit dem Verschweigen dieses Sachverhaltes hat Vollmer eine Manipulation der Meinungsbildung zu Gunsten der Täter und zu Lasten der Verbrechensopfer vorgenommen. Auch dieser Sachverhalt liegt der Tischvorsitzenden vor und findet im Vortrag von Gierden-Jülich keine Niederschlag. Dies ist um so skandalöser, als daß absehbar ist, daß man sich an der Falschdarstellung von Antje Vollmer orientieren wird.

Zum Runden Tisch Vollmer ist grundsätzlich folgendes festzustellen: Er ist schon mit der Einrichtung ein mißlungener Tisch, weil Ministerin Ursula von der Leyen eigenmächtig die finanzielle Ausstattung auf 400.000€ mehr als halbiert hat. Die drei Opfervertreter, die der Verein „Ehemalige Heimkinder“ zunächst empfohlen hat - von denen sich der VEH allerdings nicht vertreten fühlt - sehen sich einer Übermacht von etwa 12 Juristen gegenüber. Bund, Länder und Kirchen haben diese Juristen natürlich nicht an den Runden Tisch entsandt, um den Opfervertretern Tips und Tricks aufzuzeigen, wie sie an das Geld kommen können, daß man ihnen in ihrer Jugend stahl, und daß man ihnen für die Zwangsarbeit vorenthielt, daß ihnen fehlt, weil keine Rentenbeiträge abgeführt wurden. Diese Juristen vertreten offensiv und unüberhörbar und unüberlesbar nur ein Ziel: Schadensbegrenzung und Entschädigungsbegrenzung. Damit befinden sie sich im Gleichklang mit Antje Vollmer.

Die zweite Manipulation der Frau Vollmer ist die Verbiegung des Begriffs „Zwangsarbeit“. Geradezu innerlich getrieben koppelt sie diesen Begriff an die „Vernichtung von Menschenexistenzen durch Arbeit, und das zum Zweck optimaler Gewinnausschöpfung, wie das bei den großen Konzernen, die Hitler unterstützt haben, der Fall war.“ Prof. Manfred Kappeler stellte beispielsweise fest, daß nur zu einem kleinen Teil im Rahmen der Zwangsarbeit während der NS-Zeit auch die Vernichtung von Menschenleben stattgefunden hat. Die Einschränkung dieses Begriffs in der Vollmer-Definition wird auch in Wörterbüchern und im Brockhaus nicht geteilt. Dort heißt es: „Im Allgemeinen jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“ Auch im Grundgesetzt, Artikel 12 findet sich eine derartige Begriffsverbiegung nicht. Im übrigen verbitten sich die Heimopfer den Vergleich ihrer Zwangsarbeit mit der von Opfern des NS-Regimes. Im Bereich eines Heimes für körperbehinderte Klein- und Schulkinder, in dem Gewalt und Verbrechen stattfanden, mußte ein 7-jähriges behindertes Kind jeden Morgen 23 Nachttöpfe in einen großen Topf entleeren, den großen Eimer, den sie kaum tragen konnte, zur Toilette bringen und diesen dort ausschütten. Das geschah täglich unter Strafandrohung und auch unter Schlägen, vor allen Dingen unter psychischer Bedrohung. Dies geschah vor dem Aufstehen ihrer Mitschülerinnen und bevor sie auch nur eine Scheibe Brot zu essen bekam. Dies ist Zwangsarbeit unter schlimmsten Bedingungen. Wer dies nicht als schlimmste Zwangsarbeit anerkennt, ist unanständig. Die Heimopfer empfinden eine solche Begriffsverbiegung als weitere Mißhandlung. Nach deren Empfinden dient sie einzig und allein dem Ansinnen, die Verbrechen an den Heimkindern zu relativieren.

Die drei Opfervertreter werden offensichtlich untergebuttert. So war es zunächst zu akzeptieren, daß sie im ersten Sitzungsjahr des Runden Tisches keinen eigenen Anwalt beiziehen durften, um die Gespräche ruhig zu führen. Daß ihnen juristischer Beistand auch im zweiten Jahr verwehrt wird, wo es inzwischen längst um Entschädigungsfragen ging, ist ein Skandal und ein weiterer eindeutiger Beleg dafür, daß Schadensminimierung und Schadenssummenminimierung Hauptziel des Runden Tisches zu sein scheinen, neben dem zweiten Ziel der Täterseite, das Kapitel „Verbrechen an Heimkindern“ auszusitzen.

In ihrem Zwischenbericht betont Antje Vollmer „Wir haben trotzdem, und zwar nicht ich, sondern einstimmige der gesamte Runde Tisch, das heißt in einer Diskussion von mehr als 48 Stunden, Wort für Wort und Seite für Seite von diesem Bericht abgestimmt.“ Nicht zuletzt die Pressekonferenz zum Zwischenbericht des Tisches beweist genau das Gegenteil: Die Opfer kommen kaum zu Wort. Prof. Kappeler geht in seiner Analyse des Zwischenberichtes (siehe unten) auf diese Behauptung näher ein. Der radikale Ausschluß weiterer Heimopfer des VEH, der den drei Vertretern längst das Vertrauen entzogen hat, belegt, daß die Opferseite kaum Gehör findet.

Wenn Frau Gierden-Jülich feststellt, daß der genannte Runde Tisch beauftragt ist, „die Anliegen der Heimkinder aufzuarbeiten“, dann fehlt schon hier die Feststellung, daß es sich nur um einen eingeschränkten Kreis handelt, nämlich jener Kinder und Jugendlichen aus dem Bereich der Erziehungshilfe. Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder, sowie behinderte Kinder- und Jugendliche, werden nicht berücksichtigt. Das reduziert die Zahl der Opfer und mindert die Empörung der Öffentlichkeit, die – siehe sexueller Mißbrauch an Kollegschülern – viel größer wäre, wenn beispielsweise die Verbrechen an behinderten Klein- und Schulkindern mit dem Runden Tisch an die Öffentlichkeit gespült würden. Gierden-Jülich müßte die inzwischen drei Jahre alte Homepage behinderter Heimopfer mit der URL: www.gewalt-im-jhh.de bekannt sein. Kein Wort davon in ihrem Bericht. Das Buch „Gewalt in der Körperbehindertenhilfe – Das Johanna-Helenen-Heim in Volmarstein von 1947 bis 1967“ der Wissenschaftler Dr. Ulrike Winkler und Prof. Hans-Walter Schmuhl war zum Datum ihres Vortrages zwar erst druckfrisch, wurde aber Wochen zuvor schon im Internet angekündigt. Hier wird klar, daß sich Frau Gierden-Jülich nicht der unzähligen Quellen des Internets bedient hat.

Die Einschätzung des Zwischenberichtes durch Gierden-Jülich ausführlich zu kommentieren, erspare ich mir. Statt dessen verweise ich auf die Analyse durch Prof. Manfred Kappeler: „Zwischen den Zeilen gelesen – Kritik des „Zwischenberichts“ des Runden Tisches Heimerziehung“. Es stellt sich mir die Frage, ist es noch fahrlässig, oder schon boshaft, daß diese Analyse in dem Vortrag nicht mit einer Silbe erwähnt wird? Die Erkenntnisse von Prof. Manfred Kappeler, in denen sich auch die Heimopfer und die Presse wiederfinden, sind von einer solchen Deutlichkeit, daß sie den Vortrag von Gierden-Jülich als unglaubwürdig erscheinen lassen. So ist zum Beispiel die Feststellung von Gierden-Jülich, daß die Zahl von 800.000 Opfern aus einer Pressemeldung des VEH stammt, völliger Unsinn. Der Buchautor und Spiegel-Redakteur Peter Wensierski, der in diesem Vortrag auch keine Erwähnung findet, geht von 500.000 möglichen Opfern aus. Weil große Gruppen von Heimopfern gar nicht erfaßt sind, hat die deutsche Presse die Zahl von 800.000 möglichen Heimopfern ins Spiel gebracht. Wenn Gierden-Jülich sagt: „Sie sind auch aus unserer Sicht völlig überzogen.“, dann ist dies eine manipulative Äußerung, die sie mit nichts gegenbelegen kann.

Ihre Äußerung wenig später kann wirklich nicht ernstgenommen werden. Sie trägt vor: „Vermutlich wird man aktuell von etwa 1.000 Betroffenen ausgehen dürfen.“ und bezieht sich dabei auf 1500 Opfer, die sich, wo auch immer, gemeldet haben. Beim Runden Tisch Vollmer waren es etwa 450. So einen Unsinn – und als solchen muß man eine solche Schlußfolgerung betrachten – kann man nur mit Fakten bekämpfen. Die „Freie Arbeitsgruppe Johanna-Helenen-Heim 2006“ (FAG JHH 2006) ermittelte für die Zeit von etwa 20 Jahren 230 ehemalige MitschülerInnen. Von denen haben etwa 10% über die an ihnen verübten Verbrechen teilweise Auskunft gegeben. Lediglich ein Opfer hat seine Kindheitserinnerungen, die es weit vor der öffentlichen Diskussion über dieses Thema verfaßt hat, vollständig zur Verfügung gestellt. Daß die FAG JHH 2006 überhaupt etwas mehr als 20 Opferstimmen dokumentieren konnte, lag einzig und allein an der intensiven Arbeit zweier Opfer, die in unzähligen mündlichen schriftlichen und vor allen Dingen telefonischen Kontakten ihre Mitschüler zu Aussagen bewegen konnten. Hätte eine derartige Überzeugungsarbeit nicht stattgefunden, wären 5 Berichte zustande gekommen, nämlich nur die jener ehemaligen Schüler und Schülerinnen, die sich zu dieser Arbeitsgruppe zusammengefunden haben.

Der Runde Tisch Vollmer und verständlicherweise die Anlaufstellen der Kirchen schrecken die Opfer eher davon ab, sich zu äußern. Unberücksichtigt bleibt auch die Tatsache, daß zu Beginn der Aufarbeitung - schon vor Erscheinen des Buches von Peter Wensierski - die Opfer mit juristischen Mitteln bedroht wurden (und immer noch bedroht werden), es gar zu Gerichtsverhandlungen kam. Auf diesem Nährboden der Angst melden sich heute noch die wenigen Opfer. Viele Opfer sind in ihrer Kommunikation und in ihrem Wissensstand eingeschränkt. Ihnen fehlt das Internet und ausreichende Fähigkeiten zur Artikulation ihrer Erlebnisse. Weil diese Erlebnisse zu ungeheuerlich sind, hat man den Opfern jahrzehntelang eingebleut: „Dir glaubt eh keiner.“ Und das sitzt noch heute fest.

Im Folgenden will ich mich nur noch mit einigen weiteren groben Schnitzern der Frau Gierden-Jülich befassen.

Wenn sie den Verbrechenskatalog mit „Zwang zum Essen“ und „Zwang zur Arbeit“ absteckt, dann unterschlägt sie das volle Spektrum der Gewalt und der Verbrechen, die spätestens schon Anfang der 50er Jahre teils justitiabel waren. Ich verweise hier auf die Paragraphen 225, 226, 176, 177, 179, 180 StGB. Nachfolgend eine Liste der Gewaltanwendungen im schon genannten im Johanna-Helenen-Heim:

Auszug aus einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert vom 28. 04. 2009

"Zu den einzelnen Misshandlungen und Straftaten z. B.:
-  Hiebe mit dem Krückstock auf den Kopf, gegen den Rücken, in die Kniekehle
-  Schläge mit den Fäusten auf den Kopf, ins Gesicht, auf die Ohren
-  kindlichen Körper gegen Heizungsrohre schleudern
-  Aufschlagen des Kopfes auf die Pultplatte bzw. Einquetschen zwischen die Flügel der klappbaren Schultafel
-  Traktieren der "Eckensteher" mit dem Stock - wenn sie gefallen sind - solange, bis sie wieder aufstanden
-  Zwangsfütterung (selbst des Erbrochenen)

Weitere Gewalttätigkeiten bestanden in der Ausübung psychischer Gewalt z. B.:
-  Kleinkinder mit dem "Bullemann" oder der Leichenhalle drohen
-  Kleinkinder und andere Kinder in permanente Angstzustände versetzen durch Drohungen, unangekündigte Schläge, Schlafentzug, unkontrollierte Gefühlsausbrüche
-  Isolationsfolter, stundenlanges, tagelanges, wochenlanges Einsperren in Badezimmer, dunklem Abstellraum oder Wäschekammer - oder im Urlaub in einem leeren Zimmer
-  Aufforderung an einzelne Kinder, andere Kinder zu schlagen.
Sexueller Mißbrauch z. B.:
-  Zur-Schau-Stellung der sekundären Geschlechtsmerkmale
-  Stimulierung und Erregung von Jugendlichen unter Einsatz des Waschlappens und Seife, wobei die direkte Berührung mit den Händen nicht ausgenommen war
-  Fortführung dieser Stimulierungen bis zum Erguß
-  Aufforderung an junge Diakonische Helferinnen, die Erregung bei Jungen zu beobachteten
-  Anschließende Bestrafung dieser Jungen, weil sie angeblich "Schweine" seien.
-  Untersuchung der Brüste und des Intimbereiches auf Weiterentwicklung, wobei vordergründig Büstenhalter angepasst werden sollten“

Skandalös ist, daß Gierden-Jülich sich die Begriffsverbiegung zu Zwangsarbeit von Vollmer zu eigen macht. Das dokumentiert eine völlige fehlende kritische Hinterfragung. Die Behauptung, daß die freien Träger überwiegend Träger der Heime waren, ist

a) falsch und b) durch keine Zahl belegt.

Indem Gierden-Jülich auf die Situation in NRW verweist, verbreitet sie schon zu Beginn Ihrer Ausführungen falsche Fakten. Der Erlaß zur körperlichen Züchtigung war spätestens 1949 und nicht erst in den 50er Jahren wirksam. Die Äußerung: „Ob die Strafberichte geschönt waren, läßt sich leider nicht mehr nachweisen“, ist auch barer Unsinn. Erstens sagt der normale Menschenverstand, daß solche Strafberichte, entweder unvollständig, dann jedoch meist geschönt sind, um Verbrechen zu vertuschen. Zweitens haben Dr. Ulrike Winkler und Prof. Hans-Walter Schmuhl in ihren Beiträgen in den Büchern „Endstation Freistatt. Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwingschen Anstalten Bethel bis in die 1970er Jahre“ und „Mutter Kirche – Vater Staat?: Geschichte, Praxis und Debatten der konfessionellen Heimerziehung seit 1945“ eindeutig nachgewiesen, daß solche Strafbücher gefälscht wurden und teils eine „doppelte Buchführung“ stattgefunden hat.

Was das Bedürfnis nach Akteneinsicht betrifft, ist immer wieder festzustellen, daß in der Vergangenheit oft dann ganze Aktenberge in überfluteten Kellern untergingen, wenn Heimopfer danach fragten. Die Herausgabe der Akten geschieht eher vereinzelt und widerwillig. Als beispielsweise die Freie Arbeitsgruppe JHH Mitte 2006 mit der damaligen Anstaltsleitung zusammentraf, standen auf drei Tischen Aktenordner dicht an dicht. Diese scheinen nicht mehr zu existieren. Selbst Fotos aus dieser Zeit sind offensichtlich nicht mehr auffindbar.

Die Feststellung, daß es zu Gesprächen zwischen Betroffenen und Trägern kam, stimmt nur in sofern, als daß die Betroffenen die Träger zwingen mußten, sie wahrzunehmen und ernstzunehmen. Das Diakonische Werk und die Caritas scheinen immer noch ökumenisch bemüht, die Zeit der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels ihrer Kirchen zu strecken; siehe: Schadensminimierung, Entschädigungsminimierung. Die Schlußfolgerungen und vorgetragenen Konsequenzen durch Frau Gierden-Jülich gehen in die gleiche skandalöse Richtung: Abwarten bis der erste aus der Deckung kommt und so lange vertrösten, vertrösten, vertrösten.

Insgesamt ist der Vortrag von Gierden-Jülich ein erschütterndes Zeugnis von Unkenntnis, daraus resultierenden Unrichtigkeiten und Unfähigkeiten einer Staatssekretärin.

Eine Bemerkung zum Schluss: Annegret Krauskopf (SPD) spricht aus, was die Heimopfer denken und fühlen. Außerdem verweist sie auf den Skandal, dass behinderte ehemalige Heimkinder am Runden Tisch Vollmer kein Gehör finden. Dies ist eine besonders krasse Diskriminierung und weitere Misshandlung behinderter Heimopfer. Wenn Gierden-Jülich dazu ausführt, „Auch die Behinderten seien – wenngleich nicht direkt durch Personen vertreten - im Blick des Runden Tisches.“, dann ist ihr überhaupt nicht bewußt, dass die Problemlage der behinderten Heimopfer und die Erwartungen an mögliche Wiedergutmachungsmaßnahmen teils völlig anders sind. Steht bei den nichtbehinderten jugendlichen Zwangsarbeitern eine Entschädigung für diese Zwangsarbeit (Nachzahlung des Arbeitslohnes und Entschädigung für erlittene Misshandlungen) und Nachzahlung der Rentenbeiträge im Vordergrund, gilt es, die damals schon hilflosen behinderten Menschen vor einem weiteren Heimaufenthalt, nunmehr im Altersheim, zu bewahren. Auch wenn nicht alle Altenheime schlecht geführt werden und Alte vernachlässigen, ist aufgrund der bisherigen Heimerfahrungen dieser Opfergruppe, die sich gar nicht zur Wehr setzen kann, eine erneute Heimeinweisung unverantwortlich. Diese würde zu erheblichen Retraumatisierungen führen. Da der Runde Tisch Vollmer die Behinderten nicht anhört, kann er diese Problematik auch nicht kennen; will er wahrscheinlich auch gar nicht. Insofern ist es erschütternd, wenn Gierden-Jülich völlig unreflektiert der Behauptung des Runden Tisches nachplappert, die behinderten Heimopfer seien auch dort im Blickfeld. Das ist barer Unsinn.

Mit freundlichen Grüßen

  Verweise:

"Gewalt in der Körperbehindertenhilfe - Das Johanna-Helenen- Heim in Volmarstein von 1947 bis 1967"

ISSN 1868-047X
ISBN 978-3-89534-838-9

„Mutter Kirche - Vater Staat?: Geschichte, Praxis und Debatten der konfessionellen Heimerziehung seit 1945“

Wilhelm Damberg (Herausgeber), Traugott Jähnichen (Herausgeber), Bernhard Frings (Herausgeber), Uwe Kaminsky (Herausgeber)

 „Endstation Freistatt - Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel bis in die 1970er Jahre“

Herausgegeben von Benad, Matthias / Schmuhl, Hans-Walter / Stockhecke, Kerstin

Verlag :          Verlag für Regionalgeschichte

ISBN :            978-3-89534-676-7

Prof. Dr. Manfred Kappeler
„Zwischen den Zeilen gelesen – Kritik des „Zwischenberichts“ des Runden Tisches Heimerziehung“

http://gewalt-im-jhh.de/hp2/Kappeler_zu_ZB_RTH.pdf

Dipl.-Pädagoge und Dipl.-Theologe Dierk Schäfer
„Verfahrensvorschläge zum Umgang mit den derzeit diskutierten
Vorkommnissen in Kinderheimen in der Nachkriegszeit in Deutschland“

http://gewalt-im-jhh.de/hp2/Statements_Prof__Manfred_Kappe/verfahrensvorschlage-rt2.pdf

Freie Arbeitsgruppe JHH 2006 – Homepage: www.gewalt-im-jhh.de

 

Diesen Post teilen
Repost0
14. Juni 2010 1 14 /06 /Juni /2010 22:16

Veröffentlicht in Kirche von dierkschaefer am 12. Juni 2010
»Mixa erhebt schwere Vorwürfe gegen die Kirche«, so zu lesen bei:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article8011687/Mixa-erhebt-schwere-Vorwuerfe-gegen-die-Kirche.html

 

Recht hat er. Eigentlich sollte längst ein Seligsprechungsverfahren laufen. Immerhin hat er ein Wunder vollbracht, ebenbürtig dem Weinwunder unseres HErrn bei der Hochzeit zu Kana.
Er hat Waisengelder in Wein verwandelt, so der Sonderermittler.
Man sollte Herrn Mixa also zur Ehre der Altäre erheben.

http://dierkschaefer.wordpress.com/2010/06/12/seligsprechnung-fur-mixa/

Diesen Post teilen
Repost0
3. Juni 2010 4 03 /06 /Juni /2010 13:48

Frau von der Leyen, Sie wollen gar nicht Bundespräsidentin werden, weil Sie zu viele Menschen nicht mögen

 

Offener Brief

 

Sehr geehrte Frau von der Leyen!

 

Mit Erstaunen entnehme ich heute verschiedenen Presseberichten, daß Sie als zukünftige Bundespräsidentin im Gespräch sind. Ich halte Sie für eine kluge Frau. Wenn Sie Ihre letzten Jahre rekapitulieren, kommen Sie selbst zu der Überzeugung, daß Sie dieses hohe, moralische Amt nicht ausfüllen wollen. Frau von der Leyen, Sie wollen gar nicht Bundespräsidentin werden, weil Sie zu viele Menschen nicht mögen.

 

Beispielsweise mögen Sie etwa eine Millionen ehemaliger Heimkinder nicht, die in den 50er bis 80er Jahren Opfer von Gewalt und Terror wurden. Bei Ihnen geht es nicht um Watschen, wie es Walter Mixa vor einigen Wochen entschuldigend formulierte. Hier geht es um Kleinkinder, Schulkinder und Jugendliche, die vergewaltigt, zusammengeschlagen und denen die Knochen gebrochen wurden, die oft über Wochen mit Dunkel- und Isolationshaft gefoltert wurden, die oft rund um die Uhr psychischem Terror ausgesetzt waren, denen man Bildung oder Ausbildung versagte, die man zur Zwangsarbeit ins Moor prügelte. Hier geht es um hilflose, körperlich oder geistig behinderte Schulkinder, denen im Alter von 6 bis 8 Jahren jeden Morgen die kleinen Fingerchen mit einem schweren Gehstock grün und blau geschlagen wurden, um muskelschwache Kinder, die man so lange in die Schulecke stellte, bis sie nach zwei, drei Stunden kraftlos ineinander sackten, und die solange mit schwerem Stock zusammengeprügelt wurden, bis sie unter Aufbietung allerletzter Kraftreserven wieder auf die Beine kamen, um Minuten später wieder zusammenzubrechen und die nächste Folter zu erleiden. Es geht um hilflose Kinder, denen mit einem breiten Handschlag das Trommelfell zertrümmert, denen das Nasenbein gebrochen wurde, die unter dem Schulpult zusammengetreten wurden. Es geht um drei- bis fünfjährige Kinder, die nach ihrem Mittagessen und der nachfolgenden Zwangsabtopfung auf Stühlen um einen Tisch herum angebunden wurden und denen jegliches Gespräch verboten wurde. Diese Kleinen mußten solche Qualen oft drei bis vier Stunden täglich ertragen. Es geht um Kinder, denen ein schwerer Gehstock mit einer solchen Gewalt ins Kreuz geschlagen wurde, daß dieser Gehstock zerbrach. Es geht um Kinder, die sexuell nicht nur mißhandelt, sondern vor anderen Kindern bloßgestellt wurden und an denen sich Pflegepersonal sexuell erregte. Es geht um Kinderköpfe, die gegen Heizungsrohre geschleudert oder zwischen Schultafeln gequetscht wurden. Um schwer erkrankte Kinder, die solange nicht behandelt wurden, bis sie entweder starben oder sich zusätzliche Behinderungen zugezogen haben. Es geht um Kinder, die heute sprachbehindert, fast taub oder schwer schmerzleidend sind.

 

Ihnen und vielen Säuglingen, deren Leid nicht aufgearbeitet werden kann, weil sie sich an die ihnen zugefügten Verbrechen nicht erinnern können, haben Sie mitten ins Gesicht geschlagen, indem Sie ihnen schon vor Beginn des Runden Tisches Heimkinder (Vollmer) folgende Widerlichkeit um die Ohren hauten: "Die Einrichtung eines nationalen Entschädigungsfonds wird von Bundestag und Bundesregierung nicht angestrebt." („taz.de“ vom 12. Januar 09, www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/heimkinder-gehen-leer-aus/).

 

Viele dieser ehemaligen Kinder und Jugendlichen sind heute Wracks. Ihr Leben wäre völlig anders verlaufen, wären sie nicht in die Fänge von Kirche, Staat und Fürsorge geraten. Dabei haben alle Aufsichtsorgane in ihrer Aufsichtspflicht versagt und damit diese Verbrechen gefördert. Hier hat die Gesellschaft eine Schuld auf sich geladen, die erst in den kommen 10 Jahren in vollem Ausmaß sichtbar wird. Dies alles ist Ihnen völlig egal. Prof. Manfred Kappeler analysiert diese Schweinerei und „sieht in der Stellungnahme der Ministerin den ‚Versuch, dieses außerordentlich heikle Thema im Wahljahr auf kleiner Flamme zu kochen und nach der Wahl stillschweigend zu entsorgen‘". („taz.de“ vom 12. Januar 09)

 

In Ihrem Wiederwillen gegen diese Heimopfer – anders kann man Ihre brutalen Äußerungen nicht deuten - legen Sie noch eins drauf:

Hat der Deutsche Bundestag mehr als 900.000€ zur Ausstattung des Runden Tisches unter Leitung von Antje Vollmer empfohlen, so haben Sie diesen Betrag selbstherrlich und ohne Notwendigkeit auf 400.000€ zusammengestrichen. Damit haben Sie den Runden Tisch zur Schwatzbude degradiert, der in einem Jahr Aufarbeitung lediglich alten Kaffesatz der 60er und 70er Jahre neu aufgebrüht hat. Es war ein verlorenes Jahr für die Heimopfer, die zu Tausenden jährlich sterben und Wiedergutmachung nicht mehr erleben dürfen. Die Auswirkungen Ihrer Willkür werden immer skandalöser deutlich. Prof. Kappeler in seiner Analyse „Zwischen den Zeilen gelesen – Kritik des ‚Zwischenberichts‘ des Runden Tisches Heimerziehung“ auf S. 3:

„Die dem RTH bewilligten 400.000 Euro, daran sei hier noch einmal erinnert, sind weniger als die Hälfte der vom Bundestag der Regierung empfohlenen und in einem Projektentwurf gut begründeten Finanzierung. Dieser Eingriff des Familienministeriums unmittelbar vor der Einsetzung des Gremiums hatte die gewünschten Folgen: Mit der Reduzierung auf zwei Personalstellen für Organisation und Kontakte mit Ehemaligen Heimkindern und mit der Reduzierung von Sachmitteln, der unter anderem der Aufbau eines dringend notwendigen bundesweiten Netzwerks zum Opfer gefallen ist, musste der RTH strukturell und inhaltlich permanent überfordert sein und auf „Sparflamme“ arbeiten. Ein weiterer Grund für das magere Ergebnis von einem Jahr „intensiver Aufarbeitung“. Diese „Ausstattung“ war eine Missachtung der Ehemaligen Heimkinder. Die Ablehnung der Finanzierung einer wahrscheinlich notwendigen Verlängerung um einige Monate würde diesen politisch gewollten Geburtsfehler des RTH noch verschärfen. 400.000 Euro für die „Aufarbeitung“ eines jahrzehntelangen Unrechts an hunderttausenden Kindern und Jugendlichen in der alten Bundesrepublik, die durch verbotene Kinderarbeit und verbotene Zwangsarbeit Millionen-Beträge erwirtschaften mussten, mit denen sie das System, in dem sie gedemütigt, missbraucht und geknechtet wurden, auch noch selbst finanzieren mussten – das ist ein Skandal, der durch den sich in falscher Harmonisierung ergehenden Zwischen-bericht verdeckt wird. (http://www.gewalt-im-jhh.de/hp2/Kappeler_zu_ZB_RTH.pdf)

 

Allzu offensichtlich ist es inzwischen, dass die Täterseite und die damaligen Versager in der Aufsichtspflicht nur eins im Sinn haben: Spekulieren auf die biologische Lösung des Problems.

 

Sie mögen offensichtlich weitere Millionen Alte und Behinderte nicht. Ihr Leid hinter Heimmauern haben Sie während Ihrer Amtszeit kein bißchen verbessert. Immer noch vegetieren sie dahin, fühlen sich oft mehr tot als lebendig, weil ihnen jede Zuwendung verwehrt und weil Sie dadurch täglich mißhandelt werden. Personalaufstockung zur Herstellung der Menschwürde in den Heimen haben Sie nicht erreicht. Selbst die Einsatzzeit für Zivildienstleistende, die den heutigen Heimopfern im Freizeitbereich einige Stunden Abwechslung im tristen Alltag hätten bieten können, wurde auf 6 Monate zusammengestrichen. Was in den meisten Heimen stattfindet, ist Euthanasie durch die Hintertür. Und das wissen Sie. Daran haben Sie nichts geändert.

 

Nicht wahr, Frau von der Leyen, Sie würden nie behaupten, die Repräsentantin aller Bürger zu sein. Sie nehmen dieses Amt sicher nicht an.

 

Helmut Jacob

3. Juni 2010

 

 

Heimkinder, Heimopfer, Gewalt, Verbrechen, sexueller Missbrauch, Kirche, Staat, Aufsichtsorgane, Folter, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzung, Caritas, Diakonie, Erziehungshilfe, Runder Tisch, Vollmer, von der Leyen

 

Warum der Etat des Runden Tisches Heimkinder gekürzt wurde? Hier eine mögliche Antwort:

1,6 Millionen Euro: Die teure Imagepflege der Ursula von der Leyen

Ursula von der Leyen will das Image ihres Ministeriums aufpolieren: Mit 1,6 Millionen Euro aus dem Etat soll klammheimlich eine externe Kommunikationsstelle aufgebaut werden. Die tatsächlichen Kosten dürften deutlich höher liegen.

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/1-6-millionen-euro-die-teure-imagepflege-der-ursula-von-der-leyen;2593210

Diesen Post teilen
Repost0
28. Mai 2010 5 28 /05 /Mai /2010 23:15

Rheinische Kirche beschäftigte 1.200 Zwangsarbeiter
Düsseldorf (epd). Die rheinische evangelische Kirche hat während des Zweiten Weltkriegs etwa 1.200 Zwangsarbeiter beschäftigt. Im Einzelnen seien bislang 478 Fälle nachgewiesen, sagte der Historiker Uwe Kaminsky am Dienstag in Düsseldorf bei der Vorstellung seines Buches «Dienen unter Zwang». Es ist die erste größere Studie zu Zwangsarbeit im Bereich der christlichen Kirchen während des NS-Zeit. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen waren den Angaben zufolge «Ostarbeiter» aus der Sowjetunion, überwiegend junge Frauen. Beschäftigt wurden sie vor allem in der Land- und Forstwirtschaft sowie in Krankenhäusern und Heimen der Diakonie als Putzhilfen und in Wäschereien, vereinzelt auch als Haushaltshilfen in kinderreichen Pfarrfamilien. Die Kirche sei an einem Zwangs- und Unrechtssystem beteiligt gewesen und bekenne diese Schuld, sagte der rheinische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock. «Auch das System von Kirche und Diakonie war im Zweiten Weltkrieg daran beteiligt, dass Menschen die Würde genommen wurde.» Die dunklen Seiten der Vergangenheit müssten aufgedeckt werden, «um den Opfern auch auf diese Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen». Kock räumte ein, die Kirche sei «spät mit der inhaltlichen Aufarbeitung, hoffentlich nicht zu spät». Der Direktor der rheinischen Diakonie, Reinhard Witschke, äußerte sich «beschämt» darüber, dass «Kirche und Innere Mission in das staatliche System der Knechtung ausländischer Arbeitskräfte eingebunden waren». Die Scham werde dadurch nicht geringer, dass die Zahl vergleichsweise klein und die Zwangsarbeiter «relativ human untergebracht waren», sagte Witschke dem epd.
http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2002_04_23_4_ekir_zwangsarbeiter.html

Zwischenbericht "Runder Tisch" S.21
Bei einigen der Arbeiten in Heimen wurden mögliche gesundheitliche
Schädigungen vernachlässigt. Ziel war aber keinesfalls
ein der Zwangsarbeit der NS-Zeit entsprechendes Konzept
der gezielten Existenzvernichtung durch härteste körperliche
Arbeit. Auch aus diesem Grunde kann der in Deutschland historisch
besetzte Begriff der „Zwangsarbeit“ nicht verwendet
werden – auch wenn Kinder und Jugendliche zur Arbeit gezwungen
wurden und auch wenn sie dies als „Zwangsarbeit“
empfunden haben.

Zwischenbericht "Runder Tisch" S.21

Diesen Post teilen
Repost0
27. Mai 2010 4 27 /05 /Mai /2010 22:10

Veröffentlicht in Kirche, heimkinder von dierkschaefer am 21. Mai 2010

Martin Mitchell aus Australien verbreitet folgenden lesenswerten Bericht über das Betriebsklima wohl nicht nur dieses kirchlichen Heimes (ErziehungsheimMädchenerziehungsheimderSchwestern vom Guten Hirtenin Aachen).

www.heimkinderopfer.blogspot.com/2010/05/blog-post.html

Wieder einmal frage ich mich, warum der Runde Tisch in seinem Zwischenbericht die Nutznießer solcher Zwangsarbeit nicht genannt hat.

»Die Begrüßung im „Zum guten Hirten“ fiel folgendermaßen aus:

Alle Erzieherinnen wollten hier als „Mutter“ sowieso angesprochen werden. „Hier hast du alle Rechte an der Pforte abgegeben; du bist eine Nummer von vielen; solltest du aufmucken dann hast du schon verloren.“ Dabei rasselte sie ununterbrochen mit Ihrem Schlüsselbund, mit einigen Schlüsseln daran, den sie um den Bauch an einem Gürtel trug. Jede Tür wurde mit einem Ihrer Schlüssel geöffnet, nachdem wir durchgegangen waren, wieder verschlossen. Es ging zu wie im Gefängnis.

Wie wir dann zur Gruppe kamen stellte ich fest, dass alle Sadisten so einen Schlüsselbund um den wohlgeformten Leib trugen. In der Folgezeit habe ich öfters Kontakt mit den Bunden im Gesicht und am Körper gehabt. Mir und auch bestimmt den anderen wurde des Öfteren mitgeteilt, wenn wir nicht spuren würden, gäbe es zwecks Erziehungsprogramm auch noch das Zuchthaus für Mädchen, die sich nicht belehren ließen.

Ich teilte den Nonnen direkt mit, dass ich schwanger war. Im Beisein von mehreren Nonnen wurde ich von einem Arzt untersucht der bestätigte die Schwangerschaft. Das hielt diese Leute aber nicht davon ab mich schwerste körperliche Arbeit verrichten zu lassen. So kam es zur Fehlgeburt auf der Heimtoilette.

Ich bekam es mit der Angst, rief eine Nonne die dann so reagierte. Sie spülte den Fötus in den Abort und sagte: „Sei froh das du den Balg los bist. Jetzt können wir ja endlich die Arbeiten aufnehmen und du brauchst dich nicht mehr darum zu drücken.“ Nach 14 Tagen Blutverlust entschied man sich dann doch mal zur Krankenhauseinweisung der Stadt Aachen zwecks einer Operation.

Danach nahm die Ausbeutung bis zur Entlassung Ihren Lauf.

Ich wurde in einem großen Raum wo nur Mädchen an manuellen Nähmaschinen saßen, angelernt im 8 Stunden Akkord sämtliche Oberbekleidung für Quelle, Schwab, und Neckermann zu nähen. Bis dahin kannte ich solche Arbeiten nicht. Aber nach vielen Folterungen z.B. Schläge von hinten (man saß ja an der Maschine) und ich flog mit voller Wucht auf das Obergestell. Man lernte schnell damit diese Kampagnen endlich aufhörten.

Die tausenden von Kleidung musste dann in Tüten eingeschweißt und in überdimensionalen Schrankkoffern über mehrere Etagen zur Pforte geschleppt werden, wo die Ware von den Versandhäusern abgeholt wurden. Für die Schokoladenfabrik Stollwerck aus Aachen [sic --- Köln] haben wir ebenso im Heim gearbeitet. Die Firma brachte und holte die fertige Arbeit auch wieder ab. Wir haben auch hier wie überall den Rücken umsonst krumm gemacht. Gottes Lohn sollte uns reichen«.

»Für diesbetreffende Kontaktzwecke in Deutschland hat sich Erich Scheuch zur Verfügung gestellt. Erich Scheuch ist selbst „Heimkind“ in einem katholischen Kinderheim gewesen (und diese Frau, die selbst keinen Computer hat, hat ihm ihre Geschichte zur Weiterveröffentlichung im Internet aufgeschrieben ).

http://dierkschaefer.wordpress.com/2010/05/21/zwangsarbeit-doch-nicht-im-kinderheim/

Diesen Post teilen
Repost0
18. Mai 2010 2 18 /05 /Mai /2010 22:41

 

Welch ein niedliches Bild. Ludwig Erhard besucht offensichtlich ein festlich geschmücktes Kinderheim zu Weihnachten. Ein Bild, das glückliche Kinder zeigt und fröhliche Erwachsene. Im Kontext mit dem Buchtitel lässt es nicht vermuten, dass es zwischen den Deckeln um die Aufarbeitung handfester Verbrechen an Kindern und Jugendlichen gehen soll.

 

Das Buch ist ein Ärgernis. Schon im Vorwort fühlt sich der Leser arglistig getäuscht. Ging er doch davon aus, dass er mit dem Erwerb des Buches nun das Endresultat der Forschungsarbeit der evangelischen und der katholischen Fakultät der Ruhruniversität Bochum in Händen hält. In vielen Internetmeldungen ist zu lesen: „Buch fasst erste Ergebnisse zusammen“. Dem ist überhaupt nicht so. Wer das Buch nicht in den Händen hält und damit den rückseitigen Text bis Ende lesen kann, weiß nicht, dass dieses Buch „das Ergebnis einer Tagung des Projektes zur Erforschung der konfessionellen Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland ... [ist], die im Oktober 2009 stattgefunden hat.“

 

Dafür werden dem Käufer eben mal 29,80€ - dies ist umgerechnet in unsere alte deutsche Mark über einen halben Hunderter - aus dem Kreuz geleiert. Zumindest ich fühle mich arg getäuscht und möchte das Buch eigentlich den Verfassern zurückschicken. Wenn da nicht die beiden Autoren Ulrike Winkler und Hans Walter Schmuhl wären, die vor einigen Wochen mit einer eigenen wissenschaftlichen Untersuchung eine überzeugende Arbeit geleistet haben, an der sich andere Wissenschaftler messen lassen müssen.

 

Dieses Buch weiterzulesen, fällt mir auch in sofern schwer, als dass es unerwarteter Weise komplette Opfergruppen ausgrenzt: „Ausdrücklich ist dabei auch auf den Umstand hinzuweisen, dass sich das Projekt auf die Kinder- und Erziehungsheime konzentriert. Lehrlings- und Jugendwohnheime sowie Behindertenheime und psychiatrische Einrichtungen, die des Öfteren Berührungspunkte zur Jugendhilfe hatten, werden nicht untersucht, und ebenso war es nicht möglich, gezielt die Geschichte der Säuglingsheime in den engeren Blick zu nehmen.“

 

Was soll dann überhaupt dieses Buch? Das muss man sich völlig irritiert fragen. Hier sind Beiträge, die von einer Tagung im Herbst 2009 stammen, in ein Buch mit über 360 Seiten gefasst. Das allermeiste ist wirklich kalter Kaffee, hat irgendwo schonmal gestanden. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, als dass volle Filtertüten erneut in den Kaffeefilter geklinkt und der ausgelaugte Kaffeesatz noch einmal aufgebrüht wurde.

 

Auch die Vorstellung des Buches ist ärgerlich. Unter dem Titel „Ein Buch zur rechten Zeit“ in den „Westfälischen Nachrichten“, Online-Ausgabe vom 03.05.2010, werden die Verfasser wie folgt zitiert: „Erst in den 70er Jahren, so unterstreichen der katholische Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wilhelm Damberg und sein Kollege Jähnichen, kamen aufgrund neuer pädagogischer Erkenntnisse und Fortschritte Reformen der Heimerziehung in Gang.“ Dazu der Diplom-Theologe und Diplom-Psychologe Dierk Schäfer: „brandneu waren diese pädagogischen erkenntnisse. kein wort von der vorher schon laufenden fachdiskussion. erst recht kein sterbenswort über ulrike meinhoff und bambule. ist es null-ahnung oder dreistigkeit?“ Schäfer weiter: „dreistigkeit ist es jedenfalls, wenn die kirche zum vorbild für staatliche schulbehörden und sportvereine erklärt wird.“ Damit bezieht er sich auf Wilhelm Damberg, der in den „Westfälischen Nachrichten“ auf gleicher Seite so zititert wird: Damberg rechnet mit einer langen Periode der Aufarbeitung und sieht die Kirche trotz der moralischen Fallhöhe und dem großen Imageverlust bei der Aufklärung in einer begrüßenswerten Vorreiterrolle. Andere Institutionen wie staatliche Schulbehörden oder Sportvereine seien aufgerufen, in gleicher Weise für Aufklärung und Aufarbeitung zu sorgen.“

 

„ob damberg eine dankesschuld abzutragen hat?“, fragt sich Schäfer und stellt fest:

„jedenfalls haben wir hier ein wunderschönes beispiel unabhängiger forschung.“

 

Sollte es nicht noch zwei oder drei weitere Sonderbände geben, mit denen sich gut Kasse machen lässt, dürfen Heimopfer und –täter und alle, die in schönster Eintracht die Täter schützen, irgendwann das Endresultat des Forschungsauftrages in Händen halten. Sich das Buch zu kaufen, wird ebenso wie der Kauf dieses Buches, Geldverschwendung sein.

 

Helmut Jacob

14.05.2010

 

http://dierkschaefer.wordpress.com/2010/05/08/519/

http://www.westfaelische-nachrichten.de/aktuelles/kultur/nachrichten/1314144_Ein_Buch_zur_rechten_Zeit.html

 

Tags:

sozialarbeit, heimkind, wilhelm damberg, kindesmissbrauch, Heimopfer, Kinderheim, Köperbehinderte, behinderte Kinder, Säuglinge

Diesen Post teilen
Repost0
16. Mai 2010 7 16 /05 /Mai /2010 00:36
Veröffentlicht in Kirche, News, Theologie, heimkinder von dierkschaefer am 15. Mai 2010

Das Medium ist die Botschaft

Für die Leser meines Blogs enthält mein Essay in »Deutsches Pfarrerblatt, Die Zeitschrift Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer« nichts Neues. Ich gebe dort einen Überblick über den derzeitigen Stand.

Interessant ist das Medium: Der erste Beitrag der Ausgabe dieses Monats präsentiert einer Vielzahl meiner Kolleginnen und Kollegen die Heimkinderproblematik, die vorrangig eher eine kirchliche sein sollte. Der Aufsatz wurde – mit meiner Zustimmung – geringfügig gekürzt, ganz einfach, weil er zu lang war. Eine inhaltliche Zensur hat nicht stattgefunden.

Ich freue mich, daß es möglich war, an dieser Stelle einen für die Kirche sehr heiklen Sachverhalt kritisch darstellen zu können und bin gespannt, ob ich ein Echo erhalte – und was für eins.

Die Langfassung des Aufsatzes ist hier zu lesen:

Essay-Pfarrerblatt

http://dierkschaefer.files.wordpress.com/2010/05/essay-pfarrerblatt.pdf
Diesen Post teilen
Repost0
14. Mai 2010 5 14 /05 /Mai /2010 22:53
Veröffentlicht in News, heimkinder von dierkschaefer am 12. Mai 2010

Dies ist keine Rechtsberatung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes. Ich gebe nur wieder, was ich heute in der Kriminologie-Vorlesung gehört habe.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat am 18. März 2010 eine wichtige Entscheidung zum Opferentschädigungsgesetz (OEG) getroffen.

http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C63275640_L20.pdf [Mittwoch, 12. Mai 2010]

Es geht zwar um einen Stalking-Fall, doch der zweite Absatz der nichtamtlichen Leitsätze könnte für ehemalige Heimkinder wichtig sein.

» Dem Entschädigungsanspruch steht nicht entgegen, dass die Handlungen vor dem 31. März 2007 begangen wurden und daher wegen des absoluten Rückwirkungsverbotes nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nicht als strafbare Nachstellungen im Sinne von § 238 StGB bestraft werden könnten. Bei der opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung sind vielmehr auch die zwischenzeitlichen Rechtsentwicklungen zu berücksichtigen«.

http://www.amtsgericht-hannover.niedersachsen.de/master/C63275984_L20_D0_I5210490_h1.html [Mittwoch, 12. Mai 2010]

Auf Nachfrage sagte mir der Dozent, analog müsse das auch für die Anwendung des OEG auf die Heimkinderfälle gelten. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig.

Das heißt: ehemalige Heimkinder sollten mit ihrem Anwalt besprechen, ob sie unter Berufung auf diese Entscheidung Anträge nach dem OEG stellen können.

Apropos Anwalt

Aus dem Vorlesungsskript:

  • Opfer können nach § 406f Abs. 2 StPO bei einer Vernehmung durch eine private Vertrauensperson unterstützt werden.
  • Nach § 149 StPO ist die Unterstützung durch den Ehegatten oder Lebenspartner in der Hauptverhandlung möglich.
  • Es gibt auch eine professionelle Opferunterstützung durch einen anwaltlichen Opferbeistand (§ 406 f, Abs. 1 StPO). Die Möglichkeiten der Akteneinsicht sind durch §406 StPO, s. auch §68b StPO geregelt.
  • Besonders deutliche Opferunterstützung durch einen anwaltlichen Opferbeistand ist auch in der Hauptverhandlung Opfern als Nebenklägern (§397 Abs. 2 StPO) sowie bei nebenklagebefugten Opfern möglich (§§ 406g Abs. 1 und 2 StPO).
  • Die intensivste und die meisten Befugnisse gewährende Unterstützungsform – unter bestimmten Umständen – ist die Bestellung eines von Staats wegen finanzierten Opferanwalts für Nebenkläger (§397a Abs. 1 StPO) und für nebenklagebefugte Opfer (§406g Abs. 3 StPO).

[Fettdruck und Unterstreichung wie im Vorlesungsmanuskript].

Und da ich schon bei Rechtsangelegenheiten bin:

Kürzlich hörte ich von einem Fall, bei dem der Richter trotz begründeten Mißtrauensantrags an einem Gutachter festhielt, obwohl der kein spezialisierter Gutachter für sexuelle Traumatierungen ist.

Die Vorgabe des BGH [BGH, Urt. v. 30. 7. 1999 - 1 StR 618198 (LG Ansbach)] lautet dagegen:

»Hält ein Prozeßbeteiligter die wissenschaftlichen Anforderungen [eines Gutachtens] dagegen für nicht erfüllt, wird er noch in der Tatsacheninstanz auf die Bestellung eines weiteren Sachverständigen hinzuwirken haben. Will das Gericht einem dahingehenden Beweisantrag nicht entsprechen, bedarf es – wie dargelegt – einer ausführlichen Begründung des Ablehnungsbeschlusses regelmäßig nur dann, wenn der Antragsteller einen Mangel des Erstgutachtens konkret vorgetragen hat. Ist dies geschehen, wird es aber vor einer Entscheidung über einen derartigen Antrag naheliegen, den Erstgutachter zu dem behaupteten Mangel zu hören und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben«.

 

Nun, Mängel des Erstgutachtens wurden konkret vorgetragen.

Diesen Post teilen
Repost0