In meinem Blogbeitrag habe ich unterschiedliche Schreiben an die Projektleitung in der Katholischen Hochschule Freiburg veröffentlicht. 1. die Reaktion von dem Blogbetreiber Dierk Schäfer, 2. die der „Freien Arbeitsgruppe JHH 2006“.
http://helmutjacob.over-blog.de/article-die-stillen-leiden-der-heimkinder-weitere-studie-geplant-als-ob-s-nicht-schon-genug-gabe-124054212.html
Die Antworten der Projektleiterin:
An Dierk Schäfer:
Sehr geehrter Herr Schäfers,
als Projektleiterin der Studie „Heimkinderzeit in der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie 1949-1975. Eine qualitative und quantitative Erfassung der Problemlage“ möchte ich Ihnen gerne auf ihre Mail vom 02. Juli 2014 an Frau Arnold antworten.
Sie nehmen Bezug auf den von Steve Pryzibilla verfassten Artikel, der am 30.Juni 2014 in den Stuttgarter Nachrichten erschienen ist. Herr Pryzbilla bezieht sich auf ein Interview mit Frau Arnold, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin in der Studie tätig ist. Leider werden vom Interview und den weitergereichten Materialien wenig konkrete Information, bzw. zum Teil auch journalistisch sehr frei interpretierte Inhalte an den Leser/die Leserin weitergegeben.
Damit Sie sich ein umfassenderes Bild machen können, möchte ich Sie auf unserer Homepage mit genaueren Informationen hinweisen. Unter www.heimkinderstudie.de finden Sie mehr zu Anlage, Auftraggeber und Ziel des Projektes.
Sie fragen auch nach der Notwendigkeit dieser Studie, hierzu ist zu betonen, das die Kinder und Jugendlichen, die in Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe im genannten Zeitraum gelebt haben selten berücksichtigt werden. Bei allen bisher durchgeführten Studien handelt es sich entweder um Mikrostudien einzelner Einrichtungen oder aber um eine andere Zielgruppe (Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe). Gerade die Kinder und Jugendlichen der damaligen Zeit, die in Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe lebten und zum Teil heute noch dort leben werden finden selten Gehör.
Ziel der Studie ist Aufarbeitung und Transparenz. Der Fachverband „Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V“ hat diese Studie in Auftrag gegeben, die Veröffentlichung der Ergebnisse ist vertraglich festgelegt und wird zu Projektende stattfinden.
Bereits zu Beginn der Studie wurde von unserer Seite auch Kontakt zu ehemaligen Heimkindern aufgenommen. Dies geschah zum einen in direkten Gesprächen (z.B. auf der Berliner Tagung Menschenrechtsverletzungen in DDR-Heimen am 18./19.10.2013), aber auch per Brief und Mail. So wurde auf diesem Weg der Kontakt zu Vereinen/Initiativen ehemaliger Heimkinder gesucht, bspw. zum Förderverein Jugendhof Wolf e. V., zur begleitenden Arbeitsgruppe der Anlauf- und Beratungsstelle für Ex-Heimkinder in Rheinland-Pfalz, zu einer Initiative für Betroffene mit Behinderung, die in den 1950er und 1960er Jahren in Heimen der BRD gelebt haben, dem Verein Ehemaliger Heimkinder e.V., zum Arbeitskreis Fondsumsetzung Heimerziehung und zum Verein Ehemaliger Heimkinder Deutschland. Außerdem wurde Herr Schruth als Vertreter ehemaliger Heimkinder persönlich informiert und um Mithilfe bei der Vermittlung von möglichen AnsprechpartnerInnen gebeten. Auch wurde Kontakt zu Einzelpersonen aufgenommen, die bereits in den Medien aktiv waren und sind, dadurch viele Kontakte zu anderen Betroffenen haben, aber keiner speziellen Initiative zugeordnet werden können.
Ich hoffe ich konnte Ihnen der Sache dienliche Informationen geben. Falls Sie weitere Fragen haben können Sie sich gern direkt an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Annerose Siebert
An die FAG JHH 2006:
Sehr geehrter Herr Jacob,
als Projektleiterin der Studie „Heimkinderzeit in der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie 1949-1975. Eine qualitative und quantitative Erfassung der Problemlage“ möchte ich Ihnen gerne auf ihr Schreiben an Frau Arnold vom 02. Juli 2014 antworten.
Sie nehmen Bezug auf den von Steve Pryzibilla verfassten Artikel, der am 30.Juni 2014 in den Stuttgarter Nachrichten erschienen ist. Herr Pryzbilla bezieht sich auf ein Interview mit Frau Arnold, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin in der Studie tätig ist. Leider werden vom Interview und den weitergereichten Materialien wenig konkrete Information, bzw. zum Teil auch journalistisch sehr frei interpretierte Inhalte an den Leser/die Leserin weitergegeben.
Damit Sie sich ein umfassenderes Bild machen können, möchte ich Sie auf unserer Homepage mit genaueren Informationen hinweisen. Unter www.heimkinderstudie.de finden Sie mehr zu Anlage, Auftraggeber und Ziel des Projektes.
Sie äußern in Ihrem Schreiben Unmut darüber, dass wir uns im Rahmen der Studie nicht mit Betroffenen in Verbindung gesetzt haben, auch entnehmen Sie dem fragwürdigen Artikel, dass die Studie erst anläuft. Hierzu kann ich Sie informieren, dass die Studie bereits vor einem Jahr begonnen hat. Michael Kramer, Mitarbeiter in dieser Studie, hat auch zu Beginn mit Ihnen Kontakt aufgenommen, Sie hatten bereits einen Mailwechsel.
In direkten Gesprächen (z.B. auf der Berliner Tagung Menschenrechtsverletzungen in DDR-Heimen am 18./19.10.2013) wurde Kontakt mit Initiativen ehemaliger Heimkinder aufgenommen. Zudem wurde per Mail bzw. Brief Kontakt zu Vereinen/Initiativen ehemaliger Heimkinder aufgenommen, bspw. zum Förderverein Jugendhof Wolf e. V., zur begleitenden Arbeitsgruppe der Anlauf- und Beratungsstelle für Ex-Heimkinder in Rheinland-Pfalz, zu einer Initiative für Betroffene mit Behinderung, die in den 1950er und 1960er Jahren in Heimen der BRD gelebt haben, dem Verein Ehemaliger Heimkinder e.V., zum Arbeitskreis Fondsumsetzung Heimerziehung und zum Verein Ehemaliger Heimkinder Deutschland. Außerdem wurde Herr Schruth als Vertreter ehemaliger Heimkinder persönlich informiert und um Mithilfe bei der Vermittlung von möglichen AnsprechpartnerInnen gebeten. Auch wurde Kontakt zu Einzelpersonen aufgenommen, die bereits in den Medien aktiv waren und sind, dadurch viele Kontakte zu anderen Betroffenen haben, aber keiner speziellen Initiative zugeordnet werden können. Da die Studie ausschließlich auf Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie Bezug nimmt haben wir die von Ihnen erwähnten Informationen und Studien zwar zur Kenntnis genommen und auch berücksichtigt, sie sind aber nicht zentral. Ich denke, dass ist nachvollziehbar,
Ziel der Studie ist Aufarbeitung und Transparenz. Der Fachverband „Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V“ hat diese Studie in Auftrag gegeben, die Veröffentlichung ist vertraglich zu Projektende vereinbart. Wir als WissenschaftlerInnen arbeiten unabhängig.
Sie bezweifeln auch die Notwendigkeit dieser Studie, hierzu ist zu betonen, das die Kinder und Jugendlichen, die in Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe im genannten Zeitraum gelebt haben viel zu selten berücksichtigt werden. Bei allen bisher durchgeführten Studien handelt es sich entweder um Mikrostudien einzelner Einrichtungen oder aber um eine andere Zielgruppe (Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe). Hierzu haben wir aus forschungsmethodischen Aspekten ebenfalls eine Übersicht erstellt, was uns in unserem Vorgehen bestärkt hat.
Ich hoffe ich konnte Ihnen der Sache dienliche Informationen geben. Falls Sie weitere Fragen haben können Sie sich gern direkt an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Annerose Siebert
Darauf hat Dierk Schäfer heute reagiert:
Sehr geehrte Frau Prof. Siebert,
für Ihre prompte Antwort danke ich herzlich. Sie haben natürlich Recht mit Ihrem Hinweis auf die eingeschränkte Tauglichkeit medialer Berichterstattung und haben mir dankenswerterweise den Link zum Projekt hinzugefügt (http://www.heimkinderstudie.de/ ).
Wenn ich jetzt darauf eingehe, so fühlen Sie sich bitte nicht genötigt, mir gegenüber die Studie zu rechtfertigen. Ich will trotzdem ein paar Aspekte ansprechen, weil die Leser meines Blogs, auch wenn nur eine Minderheit zu Ihrer Zielgruppe gehört, aus eigenem Erleben heraus am Thema Heimkinder und der öffentlichen wie wissenschaftlichen „Vergangenheitsbewältigung“ interessiert ist.
Daß vielen ehemaligen Heimkindern eine flächendeckende Studie der Untereinheit katholisch und behindert suspekt ist, wird Sie wohl nicht verwundern. Den meisten ist eine grundlegende wissenschaftliche Herangehensweise ohnehin fremd, denn man hatte sie heimseits allenfalls mit einer Bildung ausgestattet, die für einfache und damals schon vom Aussterben bedrohte Berufe befähigte. Sie sehen ihre Heimvergangenheit hinreichend durch die Mikrostudien bestätigt und sehen auch, daß ihnen die wissenschaftliche „Adelung“ am Runden Tisch Heimerziehung (und auch am Runden Tisch Missbrauch) nichts gebracht hat, auch wenn der Runde Tisch selbst solche Expertisen in Auftrag gegeben hatte. Sie haben die Erfahrung gemacht, daß diese Art Wissenschaft l’art pour l’art ist, weil die Interessen der Mehrheit am Runden Tisch den ihren entgegengesetzt waren und durchgedrückt wurden. Am Runden Tisch saß auch Prof. Schruth, den Sie erwähnen. Der hat, als es darauf ankam, den Ergebnissen zugestimmt, und später, im Vortrag unter Fachkollegen, eine differenzierte und distanzierende Position eingenommen. Das hat bei den ehemalige Heimkindern nicht zum Vertrauen beigetragen, weder in die Person, noch in die Wissenschaft.
Nun haben Sie Drittmittel bekommen für die Untersuchung eines Teils von einer Betroffenengruppe, die am Runden Tisch nicht nur ausgelassen, sondern auch recht schnöde abgewiesen wurde.
Diese Drittmittel kommen von einer Seite, die auch am Runden Tisch vertreten war und dessen Verfahrensweise und das Ergebnis mit zu verantworten hat. Die ehemaligen Heimkinder sprechen von „Täterorganisationen“ und meinen damit nicht nur die in den Heimen erlittene Behandlung, sondern auch deren Verhalten am Runden Tisch. Sie fragen sich auch, warum für Wissenschaft Geld ausgegeben wird, während sie mit „Almosen“ abgespeist werden.
Nun gibt es für historische Vorkommnisse aufarbeitende Wissenschaft keine „Verjährung“. Im Gegenteil: Je älter, desto besser, es sei denn, das Feld ist schon hinreichend beackert. Für die wissenschaftliche Bearbeitung der Vorkommnisse am Runden Tisch werden wir also mindestens so lange warten müssen, bis die Verantwortlichen sich juristisch auf Verjährung berufen können, besser noch, wenn sie das Zeitliche gesegnet haben.
Was Drittmittel vonseiten involvierter Institutionen bedeuten (können) sah man im Fall Pfeiffer/KfN, doch da werden Sie sich wohl besser abgesichert haben.
Nun zur Studie selbst: Die Eingrenzung auf katholische Personen mit Behinderung mag ja den knappen Drittmitteln geschuldet sein. Vielleicht wollte die Diakonie einfach nicht mitmachen. Die Behandlung des Personenkreises dürfte aber wohl den damals gültigen allgemeinen Bedingungen entsprechen. (Ob es von der Organisationsform abgesehen einen speziell katholischen Anteil gegeben hat, wäre wirklich interessant.) Nicht vergessen darf man dabei die erst kürzlich aufgetauchten Vorwürfe, daß in den von den Nazis „geräumten“ Heimen in der Nachkriegszeit Plätze zur Verfügung standen, die aus ökonomischen Gründen der Träger wieder belegt werden mussten, auch mit Hilfe von in der Nazizeit bewährten Gutachtern. (http://dierkschaefer.wordpress.com/2014/07/04/nachkriegskinder-als-frischfleisch-fur-die-psychiatrien/ ). Doch dies können Sie ja auch an einer eingeengten empirischen Stichprobe überprüfen.
Zur Stichprobe: Wünschenswert wäre natürlich eine randomisierte Stichprobe anhand der vollständigen Belegungslisten. Angeblich sind jedoch viele Akten vernichtet worden. Quod non est in actis ist auch wissenschaftlich schwer zugänglich. Doch soweit noch Akten vorhanden: Es dürfte fast unmöglich sein, den Verbleib der Personen über die Meldeämter zu ermitteln. Nicht nur der Datenschutz generell ist hier ein Hindernis, sondern auch speziell der Schutz vor Retraumatisierungen oder die Angst, in seinem Umfeld bloßgestellt werden zu können. Wenn dann noch dazu der Auftraggeber katholisch ist, mag das verstärkt dazu führen, sich lieber bedeckt zu halten. So bleiben lediglich die Personen, die sich schon geoutet haben oder bereit dazu sind, wenn sie von Ihrer Studie erfahren. Wenn überhaupt. Denn wohl nicht unbegründet wird immer wieder gesagt, daß diese Zielgruppen, ich meine jetzt sämtliche Heimkinder aus diesem Zeitraum, nicht in dem Maße „netzaffin“ sind, wie zu wünschen wäre. Einerseits mag das generell an der Altersgruppe liegen, andererseits speziell an der nicht erworbenen Fähigkeit, sich flexibel auf neue Kommunikationsmöglichkeiten einzulassen und schließlich auch an der wirtschaftlichen Lage, die bei ehemaligen Bewohnern psychiatrischer Einrichtungen noch prekärer sein dürfte, als die der wirtschaftlich ohnehin schlecht ins Leben entlassenen „normalen“ Heimkinder.
Sie setzen also auf „Selbstmelder“ und auf Hinweise aus dem Umkreis Betroffener. Ihre Studie wird damit einen Bias (eine methodisch bedingte Schlagseite) bekommen und ob Sie den in den Griff kriegen, bezweifele ich.
Noch einmal: Fühlen Sie sich bitte nicht genötigt, mir gegenüber die Studie zu rechtfertigen.
Ich bin aber auf Ihre Ergebnisse gespannt und würde mich freuen, wenn Sie mich im Rahmen Ihrer Öffentlichkeitsarbeit in Ihren Verteiler aufnehmen.
Mit freundlichem Gruß
Dierk Schäfer
Heimkinder, Heimopfer, Katholische Kirche, Caritas, Katholische Hochschule Freiburg, Prof. Dr. Peter Schruth