Post vom Präsidenten! Ich, Mitglied der untersten Kaste der Gesellschaft, erhalte Post vom Präsidenten. Geradezu mit zitternden Händen öffnet meine Assistentin den Umschlag und bedeutet mir mit bebender Stimme: „Helmut, Du hast Post vom Präsidenten!“
Ebenso bebend erwidere ich: „Zeig her!“ Tatsächlich habe ich Post vom Präsidenten bekommen. Aber nicht von Joachim. Es ist ein Brief von Johannes. Johannes, das wissen nur Eingeweihte, ist der Präsident des Diakonie Bundesverbandes, geläufiger unter der Bezeichnung „Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland“. Sein Präsident heißt Stockmeier und ich stelle mir vor: Würde Jesus sich Präsident nennen? Ist es nicht albern, dass ein Kirchenmensch sich Präsident nennt? Aber sei es drum.
Warum schreibt mir Johannes Stockmeier? Ich muss weit ausholen.
Es war ein tränenreicher Vormittag und ich opferte eine Rolle Küchenpapier auf dem Altar des Mitleids und Mitleidens, als ich diese Meldung las: „Diakonie kämpft mit Millionenloch“! Sturzbäche salzigen Wassers schossen aus meinen Augen; daher auch die Küchenrolle. ‚Meine Diakonie geht dem Untergang entgegen?’, fragte ich mich ängstlich und las weiter: „Auch hohe Reisekosten wegen der zwei Standorte Berlin und Stuttgart sowie die Einzahlung in den Heimkinderfonds hätten den Haushalt zusätzlich belastet, ...“.
Weil das Diakonische Werk in den Heimopferfonds eingezahlt hat, steht es kurz vor der Pleite. ‚Dazu darf es nicht kommen’, rief ich erregt meiner Assistentin entgegen. Sie sah, dass ich kreidebleich über der Pressemitteilung vertieft war und riet mir: ‚Helmut, Du musst etwas tun, wenn nicht Du, wer denn sonst?’
So hob ich an, die Diakonie zu retten. Ich rief zu einer Spendenaktion auf: „Rettet die Diakonie! Tätervertreter brauchen die Unterstützung der Opfer!“ „Nicht nur dumm quatschen, Jacob“, maulte mir die Assistentin ins Ohr, „sondern auch handeln!“ Das hatte ich verstanden und so ließ ich zum Überweisungsträger und Stift greifen und spendete eigenhändig 10 € mit dem Verwendungszweck: „Rettung der Diakonie“.
Mein Aufruf muss durchschlagende Wirkung erzielt haben. Milliardenbeträge müssen seit wenigen Tagen auf den Konten des Präsidenten lungern, sonst hätte ich nicht diese Zeilen aus dem Präsidialbüro erhalten: „... ich bedanke mich für Ihre Spende in der Höhe von 10 €, die bei uns eingegangen ist und die wir für soziale Projekte einsetzen werden.“
Wie bitte? Mein Opfer soll nicht der Rettung der Diakonie dienen? Will man meine großherzige Spende nicht? Sofort fiel mir die Geschichte von der armen Witwe ein und ich bat Dierk Schäfer, Pfarrer im Ruhestand, die Hände zum Himmel ringend, um die Fundstelle in der Bibel. Mailwendend erhielt ich folgende biblische Botschaft:
Lukas, Kapitel 21: Das Scherflein der Witwe
„1 Er sah aber auf und schaute die Reichen, wie sie ihre Opfer einlegten in den Gotteskasten. 2 Er sah aber auch eine arme Witwe, die legte zwei Scherflein ein. 3 Und er sprach: Wahrlich ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr denn sie alle eingelegt. (2. Korinther 8.12) 4 Denn diese alle haben aus ihrem Überfluß eingelegt zu dem Opfer Gottes; sie aber hat von ihrer Armut alle ihre Nahrung, die sie hatte, eingelegt.“
Kennt Johannes Stockmeier etwa nicht diese Stelle des Neuen Testamentes und verachtet darum schnöde meine milde Gabe?
Zitternd öffnete ich die weitere Post und mir wurde wunderlich ums Herz. Nun sprang mir das Autogramm des Oberkirchenrates Johannes Stockmeier förmlich ins Gesicht. Der Briefkopf wies aus: „Brot für die Welt“. Jetzt dämmerte es mir: Ich habe eine Spendenbescheinigung erhalten. Ich habe für „Brot für die Welt“ gespendet. 10 € oder in Worten: xxEINS-NULLxx.
An dieser Stelle ist Schluß mit Lustig!
Ich? Nie und nimmer habe ich im letzten Monat für Brot für die Welt gespendet. Für „Brot in den Schulklassen“, dafür, dass kleine Kinder nicht hungrig in Schulbänken sitzen müssen, hätte ich gern gespendet. Für den Opferfonds des Runden Tisches Heimerziehung hätte ich gespendet, weil ich mich schäme, dass meine Evangelische Kirche angesichts der unzähligen Verbrechen unter ihrem Dach vor 40 bis 70 Jahren nur ein Almosen eingezahlt, ihre Opfer damit abgewimmelt hat und dabei noch die Stirn besitzt, öffentlich zu jammern, dass das bisschen Klimpergeld zum Millionenloch ihres Vereins beigetragen hat!
Soll ich Johannes Stockmeier schreiben und ihn meine Empörung wissen lassen, weil er meine zweckgebundene Spende ohne Rückfrage einfach umgeleitet hat? Soll ich ihn fragen, ob die Pleite der Diakonie nicht eher daher rührt, weil die Evangelische Kirche ihre Gläubigen mit ihrem Verhalten in Scharen vertreibt und damit immer weniger Kirchensteuern bekommt? Soll ich ihm nicht vorhalten, dass die Begründung für das Millionenloch, Einzahlung in den Opferfonds, als Ausrede vorgeschoben scheint? Und soll ich ihm meine Vermutung schildern, dass vor 60 Jahren schon einmal zweckgebundene Gelder umgeleitet wurden, - in ein Neubauprojekt: „Martinskirche“?
Damals bekamen die Klein- und Schulkinder im Johanna-Helenen-Heim der Orthopädischen Anstalten Volmarstein – unter Trägerschaft der Vorgängerorganisation des Diakonischen Werkes, nämlich der „Inneren Mission“ - Schweinefraß vorgesetzt. Beispielsweise gekochten Speck, an dem noch Borsten hingen. Dieser Fraß wurde den Kindern reingestopft, wenn sie ihn nicht essen wollten. Karl Joachim Twer, damals Diakonenschüler im Johanna-Helenen-Heim, schildert den Vorgang in seinem Praktikumsbericht:
„Die beiden Diakonissen der Mädchenschulstation hatten ein schmächtiges, elend aussehendes Würmchen auf den Boden gelegt, knieten sich auf Arme und Beine, und während die eine den Kopf festhielt und ihm den Mund aufriß, schaufelte die andere (man kann es wirklich nicht anders bezeichnen) das Essen, Kartoffel, Fleisch und grünen Salat in den Mund. Was das Kind erbrach wurde wieder mit hineingeschaufelt. Begleitet wurde das Ganze von einem herzzerreißenden Geschrei des Mädchens. Ich war unfähig zu handeln. Der freie Nachmittag, der das Essen beschloß, bewirkte durch endloses Wiederholen dieses Dokumentarfilms, begleitet von Herz- und Magenkrämpfen, einen hohen Grad an Erholung und Entspannung. - Sieht es so hinter allen Anstaltsmauern aus?“
Ach nein, ich lasse es, ich schreibe ihm nicht. Sechs Jahre Aufarbeitung der Verbrechen an den Heimkindern, überwiegend unter kirchlicher Trägerschaft, haben mich eins gelehrt: Die da oben sind so abgehoben, dass sie die Meinung der da unten gar nicht interessiert. Sie kämpfen längst nicht mehr an der Front, wie es ihr Auftraggeber Jesus Christus tat. Sie präsidieren über den Wolken.
http://aktuell.evangelisch.de/artikel/3119/diakonie-kaempft-mit-millionenloch?destination=node/3119
http://gewalt-im-jhh.de/Auszug_aus_einem_Praktikumsber/auszug_aus_einem_praktikumsber.html