Es geht um Opferentschädigung, um wirkliche Entschädigung und nicht um Leistungen, wie sie der „Runde Tisch Heimerziehung“ im Dezember 2009 dem Bundestag empfohlen hat. 120 Millionen Euro, abzgl. etwa 10 % Verwaltungskosten, stehen nun für wenigstens 400.000 Opfer der Erziehungshilfe in den Nachkriegsjahrzehnten bereit. Bis zu 10.000 Euro erhalten ehemalige „Erziehungszögling“ und dies betrachten viele Opfer als erneute Demütigung. Ihre Zwangsarbeitzeiten sind damit längst nicht vergütet.
Behinderte Heimopfer, z.B. der damaligen Orthopädischen Anstalten Volmarstein, der Stiftung Wittekindshof und der Rummelsberger Anstalten, gehen indes völlig leer aus. Ihre Mitwirkung wurde schriftlich vom „Runden Tisch Heimerziehung“ abgelehnt.
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Grund: In diesen Anstalten soll keine Erziehungshilfe stattgefunden haben.
Dies sieht Jürgen Dittrich, Sprecher der Evangelischen Stiftung Volmarstein, zumindest für seinen Bereich anders. In einem Schreiben an die Arbeitsgruppe lässt er wissen: „Die Evangelische Stiftung Volmarstein ist - wie wir jetzt durch recherchierte Archivunterlagen des Diakonischen Werkes der EKD wissen - in der damaligen Zeit (1950er/60er Jahre) auch Mitglied im damaligen Verband der Erziehungshilfe gewesen und somit als Teil der Erziehungshilfe in Deutschland anerkannt gewesen.“ Dittrich weiter: „So findet sich die Evangelische Stiftung Volmarstein im ‚Verzeichnis Evangelischer Erziehungsheime’, Sonderheft Ausgabe September 1953, herausgegeben vom Evangelischen Reichs-Erziehungs-Verband e.V., unter Nummer 63 und im ‚Verzeichnis der Erziehungsheime und Sondereinrichtungen für Minderjährige in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin’ unter Nummer 763. Somit war die Evangelische Stiftung Volmarstein sowohl anerkannter Teil der Erziehungshilfe wie auch Teil der Behindertenhilfe.“
In der Aufsicht ab 1961 zuständig waren die Landesjugendämter, die bei den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen angesiedelt sind. Die Forschungen der Historiker Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl und Dr. Ulrike Winkler haben ergeben, dass beide Behörden ihrer Aufsichtspflicht nur unzureichend nachgekommen sind.
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Die „Freie Arbeitsgruppe JHH 2006“, eine Gruppe behinderter ehemaliger Schüler und Schülerinnen im Kinderheim der Volmarsteiner Behindertenanstalten, konnte keine Kontakte der Jugendämter zu den Schulkindern feststellen. Die Gruppe sieht darum nicht nur die Evangelische Stiftung Volmarstein, sondern auch die Landschaftsverbände in der Entschädigungspflicht. Ihr Schreiben vom 2. Juli im Wortlaut:
„Wiedergutmachung an den Opfern des Johanna-Helenen-Heims in Folge der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht
... wann kommen Sie Ihrer Verantwortung gegenüber den behinderten Heimopfern nach? Inzwischen ist unstrittig: Die Landschaftsverbände, hier die Landesjugendämter, sind ihrer Aufsichtspflicht nur unzureichend nachgekommen. Die Volmarsteiner Kinder bekamen nicht ein einziges Mal die Chance, mit einem Vertreter des Landesjugendamtes unter vier Augen zu sprechen. Selbst in Gegenwart von Personal fand keine Befragung statt. So ist inzwischen auch unstrittig, dass nur durch das völlige Fehlen der Aufsicht die inzwischen dokumentierten Verbrechen an den Kindern im Johanna-Helenen-Heim möglich waren.
Der „Runde Tisch Heimerziehung“ hat Ende 2009 seine Tätigkeit eingestellt. Der aufgrund der Empfehlungen des RTH gebildete Opferfonds von 120 Mio. Euro, abzüglich 10% Verwaltungsausgaben für die Opfer West, leistet keine Gelder für behinderte Heimopfer. Selbst wenn dies zukünftig seitens der Landschaftsverbände und Kommunen erhofft wird, stellt jede weitere Zeitverzögerung schon längst eine weitere Misshandlung dieser Opfer dar. Sie sterben nämlich nach und nach, ohne auch nur einen Hauch Wiedergutmachung erfahren zu haben.
Können Sie ruhigen Gewissens und erhobenen Hauptes diesem Sterben ohne Entschädigungsleistungen für die Verbrechen zusehen? Wie lange ertragen Sie es noch, dass nun behinderte Männer und Frauen, die alt und gebrechlich werden, täglich fürchten, erneut, und nun ins Pflegeheim verbracht zu werden? Was tun Sie gegen die berechtigte Angst dieser möglichen Pflegebedürftigen, diese Hölle im Alter noch einmal erleben zu müssen?
Bitte schreiben Sie uns, welche Maßnahmen Sie endlich in welchem Zeitrahmen einleiten und umsetzen wollen.
Ihre Stellungnahme werden wir in gewohnter Weise zwecks Information unserer Mitschüler/innen auf unserer Homepage veröffentlichen. Damit wir so verfahren können, bitten wir Sie, Ihr Schreiben an Herrn Helmut Jacob, Anschrift oben, zu senden.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Dickneite
2. Juli 2013
Antwort des Landschaftsverbands Rheinland, e mail vom 03. Juli 2013
Text als Kopiervorlage:
Meine Rückfragen vom 03. Juli 2013
Guten Tag Herr Möller,
verstehe ich Ihre Antwort so, dass die Ehemaligen aus Ihrem Bereich bzw. Einzugsbereich weiter warten müssen, bis die verdichtenden Hinweise tatsächlich umgesetzt werden? Haben Sie einmal überlegt, wieviele Opfer - durch mangelde Aufsicht Ihres Landesjugendamtes - bis dahin sterben werden? Warum ist es Ihrem Haus nicht möglich, einfach und sofort in Vorleistung zu treten?
Ihre Antwort interessiert uns alle sehr.
Mit freundlichen Grüßen