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13. August 2009 4 13 /08 /August /2009 00:03

„Da verzichte ich lieber!“ Mit diesen Worten warfen viele „Kriegs- und Zivilbeschädigte“ damals, in den Jahren nach dem Krieg, das Handtuch. Sie waren die Tortur leid. Mißtrauische Gutachter und Sachverständige fragten penibel nach ihrer Leidensgeschichte und den Auswirkungen. Leitfragen schienen zu sein:

1. Ein Simulant?

2. Lassen sich die Beschwerden nicht auch anders herleiten?

Möglichst keine Renten- oder sonstige Entschädigungsansprüche anerkennen.

Wer einen erkennbaren körperlichen Schaden und einen passenden Beweis für die Ursache hatte, war relativ gut dran. Auch Gutachter mit kruppstahlartiger Härte kapitulierten vor dieser Beweislage. Doch wehe, wenn der Schaden nicht eindeutig zu klären war, oder gar jemand mit kriegsbedingten psychischen Schäden kam. Da mußte man schon psychisch stabil und zäh wie Leder sein, um den Begutachtungs-Parcour nicht vorzeitig abzubrechen. Viele, die wirklich beeinträchtigt waren, gaben auf. Diese Menschen wurden nicht nur um ihren Anspruch betrogen, sondern zu Verlierern gestempelt, mit entsprechenden Auswirkungen auf ihr Selbstbewußtsein.

Die Geschichte scheint sich bei den ehemaligen Heimkindern zu wiederholen. Sie haben lange gebraucht, um sich überhaupt zu melden. Sie haben ihre Vergangenheit versteckt wie einen Makel. In der Soziologie spricht man von einem Stigma. Viele fühlen sich noch immer in der Opferrolle, und das macht sie weiterhin verwundbar. Das erworbene Mißtrauen, auch untereinander, macht den Umgang mit ihnen schwer. Wenn sie dann noch den begründeten Eindruck haben, daß hinter ihrem Rücken über sie verhandelt wird, ohne daß sie informiert werden, auch wenn keine glaubwürdigen Gründe angegeben werden, warum die Dinge so und nicht anders laufen, dann darf man sich nicht wundern, wenn sie Verschwörungstheorien anhängen. Sie sehen, daß es für die ehemaligen Heimkinder aus DDR-Heimen eine Art Haftentschädigung geben soll, unangemessen niedrig und auch nur nach akribischer Einzelfallprüfung. Sie erfahren sich am Runden Tisch nicht angemessen vertreten. Sie sollen kooperieren und Fragebogen ausfüllen, wissen aber nicht, was für sie herauskommen kann und soll. Noch dazu haben sie ihre Geschichte bereits – viele unter Tränen – erzählt, nur noch nicht auch noch dem Runden Tisch. „Der Runde Tisch bringt doch nichts für uns“, sagen sie mir. „Da werden wir nur hingehalten.“ „Die andere Seite ist dort juristisch gutvertreten, da haben wir keine Chance.“ Sie haben ja auch gesehen, wie schnöde der Runde Tisch mit den ehemaligen Heimkindern aus Behindertenheimen umgegangen ist. „Nicht zuständig“, hieß es von dort knapp, immerhin ohne jedes Betroffenheitsgedöhns.

Der Umgang mit diesen Menschen muß gekonnt sein. Es sind Menschen, deren Lebenslauf beschädigt wurde und die immer noch zum Teil ganz existentiell unter den Folgen der Schwarzen Pädagogik leiden. Doch vertrauensbildende Gesten „kann“ der Runde Tisch immer noch nicht. Wann lernt er es?

Wolfgang Borchert, der Autor der Kriegheimkehrergeneration, hat uns eine eindrucksvolle Geschichte hinterlassen. Zwei Stigmatisierte treffen aufeinander. Sie verbindet derselbe Makel, ein Sprachfehler. Die Zunge ist zu kurz. Sie können kein „s“ sprechen, sondern machen ein „sch“ daraus. Doch welch ein Unterschied zwischen den beiden. Der eine ist ein Gewinner-Typ, trotz Sprachfehler und Beinamputation, beides heldenhaft im Krieg erworben. Der andere ein kleiner Kellner, ständig gedemütigt und belächelt mit seinem „Schie wünschen?“ und „Bitteschehr?“

Die ehemaligen Heimkinder werden die Geschichte nicht kennen, denn ihnen wurde das Recht auf Bildung fast durchgängig verwehrt. Die Damen und Herren am Runden Tisch sind wohl zu jung. In ihrer Schulzeit las man Borchert vermutlich nicht mehr. Doch sie sollten es nachholen. Borchert bringt uns den armen kleinen Kellner so nahe, daß wir unweigerlich verstehen und fühlen wie es ist, mit einem Makel herumlaufen zu müssen.

Die damalige Heimerziehung hat viele Menschen hervorgebracht, die den Makel des Heimkindes nicht abschütteln konnten. Denn sie hatten Angst vor einer gnadenlosen Umwelt, gnadenlos wie die Klassenkameraden von „Schischyphusch“, so der Spitzname des Kellners. Er konnte den Sysiphus nicht aussprechen, den traurigen Mann aus der griechischen Mythologie, dem es bestimmt war, im Jenseits einen Stein den Berg hinaufzuwälzen. Doch gerade oben angelangt, rollt der Stein immer wieder runter. Darum nannten seine „Freunde“ den Kellner „Schischyphusch“. Der duckte sich, machte sich klein und wurde immer kleiner.“

Welch ein Spaß!

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