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4. Oktober 2011 2 04 /10 /Oktober /2011 16:44

Ein Schandfleck als Klingelbeutel - Das neue Parkhaus der Evangelischen Stiftung Volmarstein

 

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In der Evangelischen Stiftung Volmarstein bei Hagen wird ein neues Kinderheim gebaut. Das ist an sich nichts schlimmes. Nur wer die Örtlichkeiten kennt, um den Berg weiß, auf dem schon in den Jahrzehnten zuvor etliche Heime für junge und alte Behinderte gebaut wurden, kann erahnen, dass hier „Integration in die Gesellschaft“ schlecht funktionieren kann. Wie sollen Behinderte den Berg hinabsteigen, um am Leben in der Gesellschaft außerhalb der Anstaltsmauern teilnehmen zu können? Da sind ihnen behinderungsbedingt quasi Knüppel in den Weg gelegt und ein Beförderungsdienst seitens der verantwortlichen Heimbetreiber existiert erst gar nicht. Aber das ist zunächst ein anderes Problem.

 

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Dieses Heim wird gegenüber dem, wie es damals hieß, „Johanna-Helenen-Heim“ gebaut, in dem vor 50 bis 60 Jahren Kinder grausam physisch, psychisch und teilweise sexuell misshandelt wurden. Heute werden Kinder in diesem geschichtsträchtigen Haus beschult. Damit die Lehrer keinen langen Fußmarsch zu ihrer Arbeitsstätte bewältigen müssen, weil auf ihrem Parkplatz nun das neue Kinderheim, das „Marianne-Behrs-Haus“ gebaut wird, hat man ihnen auf dem Filetstück der Evangelischen Stiftung Volmarstein - im Zentralbereich, zwischen der Orthopädischen Klinik, einem Heim für demenzkranke Menschen und einem Heim für Behinderte, die noch in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt werden können – ein graues Parkhaus auf grünem Grund gebaut. Auf dieser Wiese traf man sich, schaute ein Stück in die Natur, hatte einen weiten Blick von Haus zu Haus; um diese Wiese fuhren die Rollstuhlfahrer herum und genossen etwas, was sie als schön empfanden. Schon vor einigen Jahren hat man ihnen einen Teil dieses mehr als 100 Jahre alten Grüns abgenommen und dort Parkflächen eingerichtet. Aber weil die Bewohner eine gewisse Leidensfähigkeit auszeichnet, haben sie diesen Diebstahl ihrer Natur akzeptiert.

 

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Nun steht dort, wo zuvor die Parkstreifen eingerichtet waren, aber sichtbar höher, ein graues Parkhaus. Damit ist der Blick in die Ferne über die Wiese hinweg blockiert. „Kann man wohl nichts machen“, meint Dieter B. zu diesem Ungetüm, „Irgendwo müssen ja die Autos hin.“ Dieter B. weiß wahrscheinlich nicht, dass zwischen Kindertagesstätte und Altenheim, gleich an der Einfahrt zur Evangelischen Stiftung links noch genug Parkflächen zum einen ungenutzt sind, zum anderen zusätzlich eingerichtet werden könnten.

 

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Dieter hatte gleich die Parkkosten parat: „Jede Stunde kostet ein Euro und man muss fünf Euro am Tag bezahlen!“ Meinen Augen nicht trauend, besichtigte ich die Gebührentabelle. Jetzt tun sich mir natürlich zahlreiche Probleme auf. Ein Parkhaus in einer evangelischen Einrichtung als Abzockfalle gegen die dort lebenden Heimbewohner und kranken Klinikpatienten. Da müssen einfach alle Alarmglocken schrillen. Die Behindertenheime und das Krankenhaus liegen hoch oben auf dem Berg. Der öffentliche Nahverkehr ist eine Katastrophe, der Volmarsteiner Bahnhof schon seit Jahrzehnten dicht.

 

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Und das müsste einer christlich geprägten Einrichtung bekannt sein: Besuche helfen heilen. So knapp kann man es für die wichtigen Besuche in einem Krankenhaus formulieren. Besuche verbinden. So einfach kann man es für wichtige Besuche in den Behindertenhäusern formulieren. Viele Behinderte wurden bereits vor Jahrzehnten durch ihre Familie in den Anstalten entsorgt. Niemand mehr kümmert sich um sie. Sie vereinsamen. Das Freizeitprogramm von 1970 bis 1980, das den Bewohnern Tore in die Welt öffnete, wurde aus Kostengründen gestrichen. Was waren das noch Zeiten für Dieter, Hildegard und viele andere schwerbehinderten Männer und Frauen: Samstags ging es zu Schalke 04 und Borussia Dortmund. Abends in die Westfalenhalle zu großen ARD- und ZDF-Shows. Fast jeden Abend war der Spezialbus für die Rollstuhlfahrer unterwegs. Noch heute schwärmen alteingesessene Männer: „Weißt Du noch, - die Fußball-WM 1974.“ Natürlich weiß der Angesprochene davon; er hatte seinerzeit organisiert, dass 360 Behinderte und 300 freiwillige Helfer kostenlos die WM-Spiele in den Stadien Dortmund, Gelsenkirchen und Düsseldorf miterleben konnten. Heute gleicht der Zentralbereich einem Geisterdorf; auch weil die Jugendlichen vor über drei Jahrzehnten ausgegliedert wurden, rauf auf die Bergspitze, ins Ausbildungszentrum Berufsbildungswerk. So wurde neben den total zusammengestrichenen externen Unterhaltungsmöglichkeiten die interne Unterhaltung ebenso reduziert. Es ist still auf den Straßen und insbesondere an Wochenenden. Hier und da gehen ältere Männer und Frauen zum Anstaltsfriedhof. Gestern traf ich ein behindertes Paar, einen ehemaligen Mitarbeiter und seine Frau, die einen weinenden jungen Mann tröstete, sah 2 behinderte Männer, einige besetzte Stühle vor dem Cafe. Gestern war DER letzte warme Tag, der 3. Oktober.

 

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Umso wichtiger sind Besuche von Draußen. Indem die Evangelische Stiftung Volmarstein den Besuchern ins Portemonnaie greift, konterkariert sie die Arbeit ihrer Einrichtung, die der medizinischen und sozialen Rehabilitation. Sie, die eigentlich die Kontakte zu ihren Bewohnern mit allen Mitteln fördern müsste, baut Bremsklötze vor die Autoreifen der restlichen Besucher, jener, die ihre Familienmitglieder nicht in der ESV entsorgt haben. Sie behindert die guten Absichten mitleidender und mitfühlender Menschen, die den ein oder anderen Bewohner in ihren Familien- oder Freundeskreis integriert haben. Dafür, dass sie einige Stunden ihrer Freizeit in den Dienst der guten Sache stellen, sollen sie auch noch Gebühren bezahlen?

 

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Kommen wir zurück auf das entstehende „Marianne-Behrs-Haus“, nach einer ehemaligen Schülerin benannt, die im Haus gegenüber unermessliche Gewalt erfahren hat. Die an ihr verübte Gewalt bestand auch darin, dass man sie von der Umwelt abschnitt. Marianne hatte keine Familie und die damaligen Orthopädischen Anstalten Volmarstein haben außer „Affenschauen“ – wie Jochen P. noch heute die damaligen Führungen über die Kinderetagen zur Eintreibung von Spendengeldern bezeichnet – keine Anstalten unternommen, den Kindern Kontakte zu anderen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen. „Ich hatte in den acht Jahren nur einmal Besuch“, erzählt Marianne, nun 60jährig, noch heute verbittert, „und das war meine Fürsorgerin.“ Und hier schließt sich der Kreis: Vor 45 bis 65 Jahren litten die Kinder unter erzwungener Kontaktarmut. Heute erschwert, blockiert, verteuert man den Besuchern die Begegnung mit Menschen, die sich oft wochenlang auf einen angekündigten Besuch freuen, die noch Wochen später von diesem Besuch zehren, die Begegnung mit den Alten, Schwachen, Kranken und mit den behinderten Kindern.

 

„Aber das machen doch die anderen Krankenhäuser auch“, wird mir immer wieder um die Ohren gehauen. Das ist keine Entschuldigung und rechtfertigt schon gar nicht die – wie ich meine - Abzocke der Evangelischen Stiftung Volmarstein. Es sei denn, sie streicht das Adjektiv „evangelisch“ aus ihrem Briefkopf und erklärt sich damit zu einem ganz schnöden Wirtschaftsbetrieb, der Geld einbringen soll, wie seinerzeit das unchristliche Johanna-Helenen-Heim und die Kinderstationen, in denen die Orthopädischen Anstalten Volmarstein eine Spur der psychischen und physischen Verwüstung gezogen haben.

 

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                                                                                                                                               Alle Fotos: Lisa Quellmalz

 

Übrigens: Das Parkhaus war leer, - am letzten warmen Tag, dem 3. Oktober. Wo waren sie, die Besucher?

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Kommentare

U
Guten Tag Herr Jacob, ich bin heute über Ihren Blog über das Parkhaus der Evangelischen Stiftung gestolpert. Dazu möchte ich Ihnen folgende Fragen stellen, sie wissen ja offensichtlich eine Menge<br /> über die Stiftung, wissen Sie auch das der Parkplatz und das jetzige Parkhaus absichtlich ganz zentral angelegt wurden um Besuchern der umliegenden Häuser und vor allem Patienten und Besuchern der<br /> Klink möglichst kurze Wege zu ermöglichen? Wissen Sie, das bedingt durch den Neubau des Kinderheimes eine Menge Parkplätze weggefallen sind und die Mitarbeiter ihre Fahrzeuge irgenwo abstellen<br /> müssen? Wissen Sie was die Errichtung des Parkhauses gekostet hat? Diese Kosten müssen logischerweise wieder hereingeholt werden, denn die verschiedenen Geldgeber der Stiftung, wie z.B.<br /> Landschaftsverband finanzieren keine Parkplätze.
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