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7. März 2011 1 07 /03 /März /2011 16:29

Hürdenspringen bis zur Opferentschädigung durch die Katholische Kirche

„Bitte schildern Sie die Umstände und den Hergang der Mißbrauchstat.“

 
Mit einer eidesstattlichen Erklärung, wie in der Presse angekündigt, will sich die Katholische Kirche offenbar nicht zufrieden geben. Inzwischen ist ein Antragsformulare und ein „Merkblatt zum Antrag auf materielle Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde“ auf der Homepage der Deutschen Bischofskonferenz abrufbar. Der Fragekatalog erstreckt sich über sieben Seiten, das Merkblatt über drei.

 
Bevor die Opfer auch nur einen Cent Opferentschädigung bekommen, werden sie zunächst belehrt:
Alle Hilfen der katholischen Kirche haben das Ziel, zur Heilung der Folgen sexuellen Missbrauchs beizutragen. (...) Ausgangspunkt und Maßstab sind die konkreten Bedürfnisse der Betroffenen, deren Traumatisierung soweit wie möglich behoben und in Bezug auf ihre Folgen gemildert werden soll.“ Unter der Überschrift „Übernahme von Kosten für Psychotherapie oder Paarberatung“ wird darauf hingewiesen, dass nur die Kosten für diesen Zweck „... bei akutem therapeutischem Bedarf, d.h. für unmittelbar akute und künftige Therapien, wenn und soweit die Krankenkassen oder andere Kostenträger die Kosten nicht übernehmen“ getragen werden. Im übrigen seien dies freiwillige Leistungen der Katholischen Kirche.

  Unter dem Punkt „Antragsform“ erfährt das Opfer: „Die Richtigkeit aller Angaben ist an Eides Statt zu erklären. Der Antrag muss – sofern möglich – Angaben enthalten über Täter, Tatort, Tatzeit, Tathergang und die betroffene Institution ...“. Gleichzeitig will die Kirche wissen, ob die Opfer bereits andere Leistungen erhalten haben.

  Offenbar entscheidend für Leistungen der Katholischen Kirche an sexuell Mißbrauchte ist Punkt 4 des Antragsformulars: „Tathergang - Bitte schildern Sie die Umstände und den Hergang der Missbrauchstat. Die Angaben sind für die Bemessung der Leistungshöhe und für unsere weitere Aufklärungsarbeit unerlässlich.“ Damit nicht genug. Zusätzlich will die Kirche wissen: „Fühlen Sie sich durch die Folgen des sexuellen Missbrauchs, den Sie minderjährig erfahren mussten, in Ihrem Privatleben oder in Ihrer Berufsausübung beeinträchtigt?“

  Wer die Opferberichte im Internet studiert hat, weiß, wieviel Kraft und Überwindung es Einzelne gekostet hat, ihr Schweigen zu brechen. Noch schwerer fiel es ihnen, über Details der Taten zu berichten.
Dierk Schäfer, Diplompsychologe und Pfarrer im Ruhestand aus Bad Boll zu diesen Hemmungen:

  Dieser Interessenkonflikt war absehbar. Einerseits will die Kirche nicht an „Trittbrettfahrer“ zahlen, dann nur an Menschen, die immer noch beeinträchtigt sind durch die Folgen sexueller Mißhandlungen in Kindheit und Jugend erlitten durch Kirchenpersonal, und dies nur dann, wenn noch keine Zahlungen von dritter Seite für denselben Schadensverhalt geleistet wurden, und schließlich sollen vorrangig die Krankenkassen der Betroffenen in Anspruch genommen werden. Zudem werden die Zahlungen als freiwillige deklariert. Hierzu ließe sich manches sagen, doch da ich als Psychologe gefragt bin, will ich nur auf die andere Seite, auf den Aspekt der Belastung der Betroffenen eingehen.

Die grundlegende Frage lautet nach meiner Information: „Fühlen Sie sich durch die Folgen des sexuellen Missbrauchs, den Sie minderjährig erfahren mussten, in Ihrem Privatleben oder in Ihrer Berufsausübung beeinträchtigt?“

Wäre es „nur“ eine „Beeinträchtigung“, dann wäre die Mühe ihrer Beantwortung einschließlich der Schilderung der Mißhandlung zumutbar, auch wenn die Betroffenen schon mehrfach ihren „Fall“ anderswo geschildert haben, worauf man ja auch bei gutem Willen zurückgreifen könnte. Doch allein die Schriftform dürfte für viele eine Zumutung sein.

  Schwererwiegend wird es jedoch, wenn die „Beeinträchtigung“ über Auswirkungen in der Berufsausübung hinausgeht. Gefragt wird ausdrücklich nach Folgen im Privatleben. Wir kennen aus vielen Berichten solche Folgen: Aggressivität, Schwierigkeiten, Vertrauen zu entwickeln, Vertrauen zu anderen und zu sich selbst, Kontakt- und Bindungsschwierigkeiten, die dazu führten, daß Partnerschaften nicht aufgebaut werden konnten oder bald wieder zerbrachen, Probleme in der eigenen sexuellen Orientierung. Es handelt sich übrigens um Bereiche, die der Kirche in Verkündigung und Bildung wichtig sind, am stärksten sichtbar in der Bedeutung von Familie, die hier gerade durch die Kirche und ihr Personal schwerwiegend gestört wurden. Doch das nur nebenbei.

  Wichtiger ist, daß mit der Kirche eine Organisation selber die Befragung (= Inquisition) führt, die doch Quelle des Unheils war. Die meisten Menschen differenzieren nicht zwischen dem Personal und der Organisation, egal, ob sie gute oder schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wer massiv schlechte gemacht hat, wird der Aussage der Kirchenleitung nicht glauben, sie nicht akzeptieren können, hier hätte nur das Personal versagt. Für sie ist „die Kirche“ schuld. Es handelt sich dabei nicht um eine Uneinsichtigkeit der Betroffenen oder um eine Marotte, auch um keinen Trick. Wir wissen, daß Traumatisierungen nachhaltig wirken und auch Gehirnstrukturen verändern. Der Begriff der Traumatisierung wird mittlerweile zwar inflationär gebraucht und nicht alle Mißhandlungen haben posttraumatische Konsequenzen. Doch auch für die Fälle ohne posttraumatische Belastungsstörungen gilt als in erster Linie, daß diese Kirche als Urheberin des Unheils nicht die Verhandlungen führen kann, bei denen schmerzhafte Fragen gestellt werden müssen. Viele ehemalige Heimkinder, unter denen auch eine Reihe von sexuell mißhandelten ist, lehnen solche Fragen rundweg ab. Um dies zu verstehen, muß man nicht Psychologe sein, Empathie reicht aus.

  Doch diese Position ist nicht haltbar. Schließlich kann nicht nur für den bloßen Verdacht oder allgemein gehaltene Beschuldigungen gezahlt werden. Aber für die Befragung brauchen die Betroffenen, um sich darauf einlassen zu können, ein Setting, dem sie vertrauen können. Und das kann die Kirche nicht bieten, auch wenn ihr Personal dafür fachlich geeignet ist.

Wenn die Kirche wirklich helfen will, geht das im Regelfall nur über Personen und Einrichtungen, die von den Betroffenen in Abstimmung mit der Kirche benannt werden, die also kirchenunabhängig sind. Die individuelle mündliche (!) Befragung wird zumeist immer noch schmerzhaft sein, in manchen Fällen bis hin zur Retraumatisierung. Sie könnte aber neben dem Entschädigungsantrag zugleich die Chance bieten, mit der bitteren Vergangenheit abzuschließen, eine Chance, die auch eine für die Kirche sein könnte.

  Doch wenn es so läuft, wie zur Zeit anscheinend geplant, stellt sich bei vielen Betroffenen die bittere Erkenntnis ein: Die wollen doch nur billig davonkommen. Ein unguter Ausgang für beide Seiten.“  

Diplompsychologe Heinz Pietsch, Bochum: „ Die Schilderungen des Tatherganges sind zumeist für das Opfer mit hoher Scham und Kränkung verbunden. Folgen können sein: Dissoziationen und schwere Depressionen: Rückfall in traumatisierende Muster, aus denen sich der Einzelne kaum noch befreien kann. Dies kann auch dazu führen, dass bereits aufgebaute Sicherheiten, auch auf dem Hintergrund früherer Therapien, in Frage gestellt und aufgelöst werden können.“

 
Die Reaktionen der Opfer und ihrer Vertreter reichen schon jetzt von Empörung bis Entsetzen.

Michael L. schreibt im www.eckiger-tisch.de: „Zum kotzen, eine erneute Vergewaltigung. Diesmal seelisch.“ „Jacqueline“ zum Antragsverfahren: „Es liest sich wie ein Antrag bei der Krankenkasse, der MENSCH, das Erlebte und dass der Umgang mit dem Betroffenen überhaupt nicht sensibel ist. Motto: Nur wer aussagt kriegt Geld, was das Ausfüllen schon mit einem Betroffenen anrichten, auslösen kann, scheint der katholischen Kirche nicht bewusst zu sein ...“. Willi K.: „Mir ist schlecht geworden, als ich “Antrag” und “Merkblatt” gelesen habe.“

Demo-Eckiger-Tisch.jpg

„Wir wollen gehört werden!“ Unter diesem Slogan ruft die Opferinitiative „Eckiger Tisch“ bereits zur Demo am 14. März auf dem Domplatz in Paderborn auf. An diesem Tag trifft sich die Deutsche Bischofskonferenz. Der „Eckige Tisch“ fordert auf: „Wir bitten die Katholikinnen und Katholiken und alle, denen die Sorge um die Opfer Ernst ist: Kommt und solidarisiert euch! Lasst die Betroffenen nicht allein! Zeigt den Bischöfen, dass ihr mit dem Umgang mit den Betroffenen nicht einverstanden seid!“

 

 

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1801829/Kirche-bietet-Missbrauchsopfern-5000-Euro-an.html

http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Dossiers/Antragsformular_sexueller_Missbrauch.pdf

http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/Dossiers/Merkblatt_zum_Antragsformular_sexueller_Missbrauch.pdf

http://www.eckiger-tisch.de/2011/03/02/eine-geste-mehr-nicht/#comments

http://www.eckiger-tisch.de/2011/03/03/aufruf-wir-wollen-gehort-werden/

 

 

Katholische Kirche, sexueller Missbrauch, Opferentschädigung, Bischofskonferenz, Retraumatisierung

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Kommentare

P
<br /> Die Kirche will sich aus der Verantwortung ziehen. Wie immer. Nix neues und typisch deutsch. Nirgends auf der Welt erhielt und erhält das katholische Pack solch eine Lobby und Rückendeckung für<br /> ihre Verbrechen wie hier in Deutschland. Und das scheint auch logisch. Arbeitete und arbeitet noch immer ... die deutsche Politik ganz eng mit der kath. Kirche zusammen. Ja - sie macht sogar<br /> gemeinsame Sache mit dem Kirchenadel. Die Trennung Staat und Kirche ist noch immer nur ein Lippenbekenntnis und steht nur auf Papier.<br /> <br /> Die Praxis sieht ganz anders aus. Fragen Sie mal in welchen Aufsichtsräten Kirchenfürsten sitzen. Und staunen bitte nicht schlecht wenn sie auf die Kombinatsmedien ARD, ZDF und der Gleichen<br /> stoßen.<br /> <br /> Drum: Wir lassen und nichts mehr verbieten. Schon gar nicht den Mund. Wir sagen es laut und schreien um so lauter. "Rückt endlich die Kohle raus. Steht für euren Mist grade - und zwar wacker. Wir<br /> müssen unsere Forderungen nicht mehr erklären aber ihr euer Tun. Macht aus uns nicht die Täter denn wir sind die Opfer.<br /> <br /> Bisher gab’s immer Rückendeckung durch den Staat. Bis jetzt ... außer einmal - als Ulricke Meinhof den Film „Bambule“ inszenierte .... seitdem aber ist es wieder ruhig im Garten Eden. Das nur<br /> deshalb - weil Staat den Heimkinderaufstand 1969/70 einstampfen lies. Diesmal jedoch geht’s nicht so einfach. Täuscht euch da nicht - Ihr Bischofpack.<br /> Diesmal wird es schief gehen. Das ist (m)ein Versprechen.<br /> <br /> <br />
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L
<br /> Da fällt mir nur ein Wort ein:Widerlich<br /> <br /> <br />
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